Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
verdammt glatt.«
»Weshalb gehst du der Sache mit Matthildur nach?«, fragte Hrund. »Was hast du herausgefunden?«
»Weshalb hast du mir nicht von Ingunn und Jakob erzählt?«
»Das ging dich doch gar nichts an«, erklärte Hrund. »Weswegen rührst du diese alten Sachen auf? Warum dürfen die Leute nicht ruhig in ihrem Grab liegen?«
»Ich habe nicht vor, jemanden auszugraben«, entgegnete Erlendur.
»Mit wem hast du gesprochen?«
»Mit Matthildurs Freundin.«
»Mit Ninna?«
»Ja.«
»Was weißt du? Ich möchte gerne wissen, was du in Erfahrung gebracht hast.«
»Nichts, worüber du nicht ohnehin schon informiert bist, glaube ich«, sagte Erlendur. »Ingunn hat niemandem davon erzählt, dass sie ein Kind von Jakob hatte, und er hat abgestritten, dass er der Vater ist. Dieser Sohn ist der Mann, zu dem du mich in Egilsstaðir geschickt hast. Als Ingunn erfuhr, dass Matthildur Jakob geheiratet hatte, schrieb sie ihrer Schwester einen Brief und gestand ihr alles. Ein Jahr später kam Matthildur um.«
»Du bist doch ganz schön vorangekommen«, sagte Hrund.
»Manchmal habe ich das Gefühl …«, begann Erlendur.
»Ja?«, sagte Hrund, als er mitten im Satz abbrach.
»Ach, ich weiß nicht, ob mein Gefühl stimmt oder nicht, dass du auf meiner Seite stehst und mir bei meiner Suche nach Antworten auf die Spur geholfen hast. Aber du bist irgendwie sehr zwiespältig in deinen Reaktionen. Du willst es dir vielleicht selbst nicht eingestehen, aber du hast das Bedürfnis, dich querzulegen und gegen mich zu wehren. Vielleicht weil du es insgeheim für unpassend hältst, dass ein Fremder in eurer Familiengeschichte herumschnüffelt. Meines Erachtens tust du aber nur so, als ob. Ich kann dich vollkommen verstehen. Vermutlich ist dir doch daran gelegen, mir weiterzuhelfen und mich dazu zu bringen, mich intensiver mit diesem alten Fall zu befassen. Du hast lange nach Antworten gesucht, und deiner Meinung nach ist es jetzt endlich an der Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Und dazu würdest du gerne mich benutzen.«
»Was du nicht alles zu wissen glaubst«, sagte Hrund so leise, dass er es kaum hörte.
»Ich weiß jetzt zwar, warum du mich zu Kjartan nach Egilsstaðir geschickt hast, aber warum wolltest du, dass ich zu Ezra gehe?«
Einen Augenblick glaubte er, dass Hrund das Bewusstsein verloren hatte. Ihre Augen waren geschlossen, und über ihrem Gesicht lag ein seltsamer Friede. Die Sanitäter hatten eine blaue Decke über sie gebreitet. Sie kamen jetzt nur sehr langsam voran. Er wusste nicht, ob er ihnen Bescheid sagen sollte.
»Du hast gesagt, dass du bei der Polizei bist«, ließ sich Hrund auf einmal wieder vernehmen.
»Ja.«
»Ich habe immer …«
Hrund holte tief Atem. Sie schien am Ende ihrer Kräfte zu sein.
»Was?«
»Ich war immer … der Meinung, das Matthildurs Verschwinden ein Fall für die Polizei war.«
Einundzwanzig
Hrund schlummerte den Rest der Strecke. Der Krankenwagen hatte unterwegs keine weiteren Schwierigkeiten mehr. Als er beim Krankenhaus in Neskaupstaður vorfuhr, war es schon reichlich spät geworden. Erlendur folgte Hrund ins Krankenzimmer und blieb bei ihr, bis der Arzt kam. Er verordnete starke Antibiotika gegen die Entzündung im Bein. Schon der kleinste Kratzer konnte bei Hrund eine Infektion auslösen; wenn sie nicht gleich behandelt wurde, konnte es böse Folgen haben.
Der Arzt sagte Erlendur, dass Hrund jetzt unbedingt schlafen müsse. Da erst fiel Erlendur ein, dass er ohne Auto war. Er hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie er zurück zu Hrunds Haus kommen würde, wo sein Jeep stand. Er machte sich keine Hoffnungen, so spät am Abend noch von jemandem mitgenommen zu werden, und außerdem wollte er sich mit Hrund unterhalten, wenn sie am nächsten Morgen aufwachte. Also fragte er den Arzt nach einer Übernachtungsmöglichkeit im Ort, und der nannte ihm eine Pension ganz in der Nähe des Krankenhauses, die aber wegen des Bauprojekts meist überfüllt war.
Erlendur hatte jedoch Glück, er bekam ein Zimmer in der Pension, in der sich erschöpfte Ingenieure, hochgestimmte Handelsreisende aus Reykjavík, amerikanische Berater und chinesische Bauarbeiter einquartiert hatten. Einer der Ingenieure verwickelte ihn in ein Gespräch. Der Mann mittleren Alters wollte Erlendur unbedingt erzählen, dass er früher beim Bau von Lawinenschutzanlagen in den Westfjorden und in Siglufjörður gearbeitet hatte. Seine Familie stammte aus den Ostfjorden, und er redete von
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