Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Aber allmählich drang zu mir durch, dass er etwas wusste, dass er von mir und Matthildur wusste. Er hat zwar nur Andeutungen gemacht, aber die zeigten, dass er alles wusste. Weil Matthildur es ihm gesagt hatte!«
»Und bist du zu ihm gegangen?«
»Ja«, sagte Ezra so leise, dass Erlendur es kaum vernahm. »Ich habe es zum Schluss getan. Ich bin zu ihm gegangen und habe die ganze Wahrheit über Matthildur herausgefunden.«
Zweiunddreißig
Zweifel und Ängste hatten Ezra nach dem Verschwinden von Matthildur ständig heimgesucht, und nach diesem Gespräch mit Jakob bedrängten sie ihn noch heftiger. Ihm war klar, dass er früher oder später zu ihm gehen und mit ihm reden musste. Zwischen ihnen lag etwas in der Luft, etwas Unausgesprochenes und Unreines, und dem musste er sich stellen. Er hatte Angst davor. Die Ungewissheit darüber, ob Jakob etwas wusste oder nicht, hatte ihn seit Matthildurs Verschwinden im Januar geplagt. Um herauszufinden, was sie ihm gesagt hatte, war er gezwungen, zu ihm zu gehen. Vielleicht wusste Jakob nichts, vielleicht wusste er alles. Am meisten fürchtete er sich davor, zu hören, dass Matthildurs Beziehung zu ihm vielleicht der Grund für ihren verhängnisvollen Gang über die Berge gewesen war. Dass sich die Eheleute deswegen gestritten hatten. Diesen Gedanken hatte er in den Monaten, seit Matthildur verschollen war, nicht von sich abschütteln können.
Drei Mal machte er sich auf den Weg zu Jakobs Haus und gab jedes Mal auf. Da war etwas an dessen Benehmen auf dem Friedhof gewesen, was ihn beunruhigte und ihm so etwas wie Furcht einflößte. Er tigerte ständig unruhig durch sein Haus und zerbrach sich den Kopf über diesen Unterton, der in Jakobs Worten über Matthildur mitgeschwungen hatte, und darüber, wieso Jakob sich als Hahnrei bezeichnet und ihm das Wort so ausführlich erklärt hatte. Es hatte ganz den Anschein, als hätte sich Jakob über ihn lustig machen wollen.
Eines Abends setzte er dann doch sein Vorhaben in die Tat um, er machte nicht kehrt und klopfte bei Jakob an. Er nahm denselben Weg die kleine Böschung hinunter, den er früher jeden Morgen genommen hatte, wenn er Jakob zur Arbeit abholte. Als er sich in Matthildur verliebte, zaghaft und schüchtern, wie er war. Er war so glücklich und erstaunt über ihre Reaktion gewesen. Sein unsicheres Vortasten hatte sie vollkommen gelassen hingenommen, und es hatte von Anfang an den Anschein gehabt, als sei ihre Liebe natürlich, selbstverständlich und vor allem wahr gewesen. Seit ihrem Verschwinden war kein einziger Tag vergangen, an dem ihm nicht ihr Lächeln vor Augen gestanden hatte, oder eine kleine Handbewegung, ihr Blick, ihr Gang, ihr Lachen. Er vermisste sie schmerzlich, und abends beweinte er in seiner Einsamkeit ihr Schicksal, ihrer beider Schicksal.
Ezra sah Licht in Jakobs Haus und klopfte an. Der Wind hatte sich gedreht, nun strich er rau, kalt und trocken durch den Ort. Er klopfte noch einmal, und dann erschien Jakob in der Tür.
»Hallo, lieber Freund«, sagte er und ließ Ezra ins Haus. »Ich habe schon auf dich gewartet.«
Die Anrede lieber Freund klang falsch in Ezras Ohren. Jakob ging mit ihm ins Wohnzimmer, öffnete eine Flasche isländischen Brennivin und füllte zwei Schnapsgläser. Er leerte seines in einem Zug und goss gleich wieder nach. Er hatte eindeutig schon einiges getrunken, und Ezra erinnerte sich, wie unangenehm er in betrunkenem Zustand immer gewesen war, wie penetrant und aggressiv. Ezra nippte an seinem Glas und bereute bereits, gekommen zu sein. Er hätte zu einer anderen Tageszeit kommen sollen, wenn Jakob noch nicht zur Flasche gegriffen hätte. Im Gegensatz zu früher war das Haus völlig verwahrlost, dreckige Klamotten und schmutziges Geschirr mit Essensresten darauf lagen und standen im Wohnzimmer herum.
»Nett, dich zu sehen«, sagte Jakob.
»Wie geht es dir?«, fragte Ezra.
»Beschissen«, sagte Jakob. »Mir geht es wirklich beschissen, das kann ich dir sagen, Ezra. Irgendwie hat man an nichts mehr Freude.«
»Ja, es ist sicher eine sehr schwierige Zeit für dich gewesen.«
»Schwierige Zeit? Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie schwierig, Ezra. Wie schwierig diese Zeit für mich gewesen ist. Ich sag’s dir, Ezra, ich kann es dir wirklich sagen, es nimmt einen schon verdammt mit, eine geliebte Frau wie Matthildur zu verlieren.«
»Ich möchte dich nicht stören. Ich sollte vielleicht lieber ein anderes Mal wiederkommen, ich muss …«
»Was denn,
Weitere Kostenlose Bücher