Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
niemandem gegenüber erwähnt habe, und ich weiß auch nicht, ob und wie ich es dir sagen soll. Es ist mir peinlich … sehr peinlich, darüber zu reden. Ich weiß eigentlich nicht, wie ich es ausdrücken oder an wen ich mich wenden soll. Es gibt nur so wenige, denen man Vertrauen schenken kann, wenn es um eine solche … um so eine heikle Angelegenheit geht.«
»Was meinst du?«
»Es geht um Matthildur«, sagte Jakob. »Sie hatte sich bereits sehr von mir entfernt, bevor sie … Bevor sie dann im wahrsten Sinne des Wortes verschwand.«
»Sich von dir entfernt?«
»Ja. Einiges davon drehte sich um ganz persönliche Dinge zwischen uns beiden, verstehst du, so ist das in jeder Ehe. Du wirst … Eines Tages wirst du vielleicht verstehen, was ich meine. Wenn du irgendwann einmal deine eigene Frau findest, Ezra.«
Wieder hörte Ezra diesen Unterton heraus. Und auch die Wortwahl entging ihm nicht. Deine eigene Frau.
»Da war aber auch noch etwas anderes«, fuhr Jakob fort.
Diesen Worten folgte längeres Schweigen.
»Was meinst du mit etwas anderes?«, fragte Ezra, als Jakob keine Anstalten machte, fortzufahren.
»Ich habe sozusagen nichts in der Hand. Nichts Konkretes, so gesehen. Das ist aber wohl bei Männern in meiner Situation ja meistens auch erst der Fall, wenn die Tatsachen nicht mehr zu übersehen sind. Wenn sie einem sozusagen ins Gesicht springen, verstehst du?«
»Männer in deiner Situation?«
»Ich rede von Ehemännern, die zum Hahnrei gemacht werden. Du weißt, was das bedeutet, wenn man zum Hahnrei gemacht wird?«
»Ich …«
Jakob warf den Zigarettenstummel weg.
»Das sagt man, wenn die Ehefrau mit einem anderem schläft und man selbst völlig ahnungslos ist. Vielleicht wissen sogar andere davon, aber man selbst, man hat nicht den geringsten Schimmer. Und dann will die Frau einen eines Tages verlassen, einfach so, als ginge einen das einen Scheißdreck an.«
Ezra versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war aber nicht imstande, zu beurteilen, ob ihm das gelang. Am liebsten hätte er sich sofort davongemacht, doch er wusste nicht, ob seine Beine ihm gehorchen würden. Er hatte das Gefühl, als sei alle Kraft von ihm gewichen. Er hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren sollte. Auf ein solches Gespräch mit Jakob über Matthildur war er völlig unvorbereitet gewesen.
»Willst du damit sagen, dass Matthildur …« Ezra wusste nicht, wie er den Satz zu Ende bringen sollte.
»Ich habe einen bestimmten Verdacht, mehr nicht. Und der quält mich von früh bis spät, doch die Wahrheit werde ich vermutlich nie mehr erfahren. So wie die Dinge liegen. Jetzt nicht mehr.«
Jakob zertrat den Zigarettenstummel am Boden.
»Nein, man wird sie nicht mehr finden«, sagte er und sah Ezra lange an. Ezra entgingen weder die Anschuldigung in Jakobs Blick noch die Anklagen, die in seinen Worten, ja in seinem ganzen Auftreten mitschwangen. Er konnte an nichts anderes denken. Jakobs Blick hatte eher Gewissheit als Verdacht signalisiert, und hinter seinen Worten steckte mehr, als sie besagten.
»Komm doch mal bei mir vorbei, damit wir miteinander reden können«, sagte Jakob. »Ich habe dir vielleicht etwas zu sagen, was du wissen solltest.«
»Und was sollte das sein?«
»Schau doch einfach mal bei mir vorbei«, sagte Jakob. »Ich muss jetzt erst das hier zu Ende bringen, und danach können wir miteinander reden. Abends bin ich meist allein zu Hause.«
Ezra wiegte sich auf seinem Stuhl vor und zurück, so erregt war er. Noch nach all diesen Jahren stand ihm die Erinnerung ganz lebendig vor Augen. Er konnte sich an jedes einzelne Wort von Jakob erinnern.
»Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich stand mir absolut nicht der Sinn danach, ihn zu besuchen, aber das konnte ich natürlich nicht sagen. Irgendwie habe ich mich wohl beschämt davongeschlichen, ich war am Boden zerstört.«
Erlendur hatte dem alten Mann schweigend zugehört. Er sah, wie nahe ihm all das ging, wie schwer es ihm fiel, über diese längst vergangene Zeit und die Erlebnisse zu sprechen, die ganz offensichtlich sein Leben stärker beeinflusst hatten, als ihm selbst bewusst war. Nur ein Fremder, ein Außenstehender, konnte wahrscheinlich nachvollziehen, welch lähmenden Einfluss diese Ereignisse auf ihn gehabt hatten, die doch schon so lange hinter ihm lagen.
»Fandest du dieses Gespräch nicht etwas seltsam?«, fragte Erlendur nach einiger Zeit.
»Zunächst ja«, antwortete Ezra. »Ich war völlig verwirrt.
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