Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Zeitungen gelesen und entdeckt, dass Ástas Vater Ármann einen der Fischer, Jakob Ragnarsson, gekannt habe, und bei seiner Beerdigung einer der Sargträger gewesen sei. Ásta konnte sich an den Namen erinnern.
»Hat er jemals mit dir über die Ereignisse von damals gesprochen?«, fragte Erlendur. »Oder mit deinen Geschwistern?« Er wusste, dass Ásta zwei Brüder hatte.
»Meine Brüder wohnen beide in Reykjavík«, erklärte Ásta. »Du kannst gerne mit ihnen telefonieren, wenn du möchtest, aber ich weiß nicht, ob das etwas bringen wird. Ich kann mich nicht erinnern, dass Papa viel über diesen Schiffbruch gesprochen hat, zumindest nicht im Familienkreis. Ich war noch gar nicht geboren, als er passierte. Er hat vielleicht mit seinen Freunden darüber geredet, aber er war kein sonderlich gesprächiger Mensch.«
»Woher kannten sich dein Vater und Jakob, weißt du das?«
»Sie sind von Djúpivogur aus einige Jahre zum Fischen ausgefahren. Dann zog Jakob weg, aber sie hatten immer noch Kontakt, allerdings nur sporadisch.«
»Weißt du, ob es ihm sehr viel bedeutet hat, als Jakob auf See umkam?«
Ásta zuckte mit den Achseln.
»Hier wird oft unter ganz schwierigen Bedingungen gefischt, und dabei kommen immer wieder Menschen ums Leben. So ist einfach der Gang des Lebens in diesen Fischerdörfern. Ich glaube nicht, dass mein Vater diesbezüglich irgendwelche unnötigen Sentimentalitäten an den Tag gelegt hat. Das war vollkommen unüblich. Er hat nicht viel über diesen Unfall gesprochen, zumindest nicht, nachdem ich erwachsen war. Geht es dir dabei vor allem um meinen Vater?«
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Erlendur. »Kannst du dich erinnern, ob er der Meinung gewesen war, dass bei diesem Schiffbruch etwas nicht gestimmt hat, etwas, was ihm seltsam vorkam?«
»Nein, davon weiß ich nichts.«
»Oder etwas im Zusammenhang mit der Beerdigung?«
»Nein, ich weiß nicht … Woran denkst du?«
»Ich habe mit Leuten in Eskifjörður über die damaligen Ereignisse gesprochen. Darunter war eine Frau, die sich daran erinnern konnte, dass dein Vater angeblich irgendwelche Geräusche aus dem Sarg gehört haben soll, als er in die Erde gesenkt wurde.«
Die Frau sah Erlendur lange Zeit an, ohne ein Wort zu sagen.
»Davon habe ich nie etwas gehört«, sagte sie dann. »Wirklich nie.«
»Nein, das kann ich gut verstehen. Das ist vielleicht auch nur eins von den Gerüchten, die wegen gewisser Umstände in Jakobs Leben die Runde machten«, sagte Erlendur. »Er hatte seine Frau verloren, und da gab es irgendwelche Geschichten, dass sie ihm keine Ruhe gelassen haben soll. Wahrscheinlich ist dieses Gerücht deswegen entstanden.«
»Ich habe aber nie davon gehört. Ich wusste, dass dieser Jakob seine Frau verloren hatte, aber mein Vater hat sich nie dazu geäußert. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Soll Papa das wirklich gesagt haben?«
»Das, was ich gehört habe, muss nicht unbedingt korrekt sein. Möglicherweise hat auch jemand ganz anderes das gesagt, oder vielleicht ist das Ganze eine pure Erfindung.«
»Aber das glaubst du nicht, oder?«
»Doch«, beeilte Erlendur sich zu sagen. »Es ist nur ein Detail von vielen, die ich mir im Zusammenhang mit dem Unfall ein bisschen genauer ansehe. Deswegen kam ich auf die Idee, dich zu fragen, ob du diese Geschichte kennst.«
»Nein, ich kenne sie nicht.«
»Hat er jemals über Jakob und seine Frau Matthildur gesprochen?«
»Nein, oder jedenfalls nicht viel.«
»Sind vielleicht noch irgendwelche Freunde deines Vaters am Leben?«
»Ich glaube nicht. Oder doch, der alte Þórður.«
Þórður lebte bei seinem Sohn und seiner Schwiegertochter. Von Ásta waren es zwar nur zwei Minuten zu Fuß zu dem Haus, aber Erlendur fuhr dorthin. Nachdem sie ihm erklärt hatte, wo Þórður wohnte, verabschiedete er sich so rasch wie möglich von ihr, versuchte aber, nicht unhöflich zu wirken, um keinen Argwohn zu wecken. Er sagte, er wolle sie nicht länger stören, und stand auf. Ihr Mann hockte immer noch vor dem englischen Krimi, aus dem Fernseher hörte man Schüsse und irgendjemand schrie. Erlendur merkte, dass er seine Rolle nicht sonderlich gut spielte, Ásta hatte sich im Laufe des Gesprächs immer verwunderter über diesen seltsamen Besuch und die nicht minder seltsame Anfrage gezeigt. Sie war neugierig geworden, und er war gezwungen gewesen, die Fragen, die über ihn hereinbrachen, entweder zu beantworten oder ihnen auszuweichen; Fragen über ihren
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