Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
Vater, über Jakob und Matthildur, über den Schiffbruch und Erlendurs Interesse an den Beteiligten und vor allem an ihrem Vater. Er spürte, dass sie misstrauisch war, und ehe er sich’s versah, richtete sich ihr Argwohn auf eine mögliche Verbindung zwischen ihrem Vater und Matthildur. Er hatte keine Ahnung, wie sie darauf gekommen war, und versuchte nach Kräften, das Missverständnis auszuräumen, während er bereits in der Diele stand. Aber es gelang ihm nicht sonderlich gut, und als er losfuhr, stand Ásta immer noch an der Haustür, ihr Gesicht ein einziges Fragezeichen.
    Þórður war fünfundachtzig, und in seiner Welt herrschte ewiges Schweigen. Gegen seine Gehörlosigkeit halfen keine Geräte mehr. Er hörte nur noch seine eigene innere Stimme, und er zögerte nicht, sich anderen lautstark mitzuteilen, wie um sicherzustellen, dass er, auch wenn er nicht hören konnte, was andere sagten, selbst gut verstanden würde. Er lebte in einer kleinen Wohnung im Keller, die sein Sohn für ihn eingerichtet hatte. Der Sohn brachte Erlendur nach unten zu seinem Vater und ließ die beiden allein. Erlendur hatte auch dem Sohn die Geschichte mit seinem speziellen Interesse an Schiffbrüchen in den Ostfjorden aufgetischt, und auch Þórður gegenüber hielt er sich daran. Der alte Mann schien sich über diesen unerwarteten Besuch zu freuen. Die Wohnung war sehr klein und bestand im Grunde genommen nur aus einem großen Raum mit einem bequemen Bett, Fernseher, Schreibtisch und Waschbecken. Das Zimmer war vollgestopft mit Büchern.
    Die Methode, um mit dem gehörlosen Mann zu kommunizieren, war denkbar einfach. Auf dem Schreibtisch lagen Papier und Bleistift, und Erlendur konnte das, was er sagen oder fragen wollte, auf ein Blatt schreiben, und Þórður antwortete prompt.
    »Ich sehe, dass du ein Bücherwurm bist«, war das Erste, was Erlendur aufschrieb, nachdem er kurz zu Papier gebracht hatte, wer er war und weshalb er gekommen war, dass es um den Schiffbruch der Sigurlína ging.
    Þórður lächelte. Er schien bei guter Gesundheit und geistig völlig auf der Höhe zu sein. Er hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf, die Nasenlöcher waren schwarz von Schnupftabak, und er hatte eine kehlige Stimme.
    »Ganz richtig«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Die haben sich bei mir im Laufe der Jahre so angesammelt. Ich bezweifle stark, dass irgendjemand nach meinem Tod Interesse daran haben wird. Wahrscheinlich landen die alle auf der Müllkippe.«
    »Das ist nicht gut«, schrieb Erlendur.
    Þórður stimmte ihm zu. »Ich erinnere mich gut an den Schiffbruch der Sigurlína, nach dem du fragst. Aber auch an andere und schrecklichere, die noch nicht so lange her sind und bei denen Menschen in grauenvollen Unwettern ums Leben kamen.«
    »Erinnerst du dich an Jakobs Beerdigung?«, schrieb Erlendur auf ein neues Blatt, das er Þórður reichte.
    »Nein«, erklärte Þórður. »Damals war ich nicht hier am Ort, ich wohnte zeitweilig in Höfn und bin von dort aus ausgefahren. Aber natürlich habe ich davon gehört. Das Wetter war wohl abscheulich, Nordsturm und Frost. Sie waren mit ihrem Boot so nah am Ufer, dass man ihre entsetzten Gesichter sehen konnte. Diese Nussschale, auf der sie da unterwegs waren, hatte wohl im denkbar ungünstigsten Moment Maschinenschaden, wenn ich mich recht erinnere. Die beiden gingen über Bord, und das Boot zerschellte an den Felsen. Wahrscheinlich konnten sie nicht schwimmen, aber das hätte ihnen auch wohl kaum etwas genutzt. Man hat ihre Verzweiflungsschreie an Land hören können. Die Leute haben zwar versucht, sie mit Leinen vom Ufer aus zu erreichen, aber das Wetter war derart schlimm, dass sie nichts ausrichten konnten. Und dann verstummten die Rufe.«
    Þórður griff zu seiner Schnupftabakdose und hielt sie Erlendur hin, der sich eine kleine Prise nahm. Þórður hingegen gab eine ordentliche Portion auf seinen Handrücken und sog sie genüsslich auf.
    »Es muss ein schrecklicher Anblick gewesen sein«, sagte er daraufhin und drehte die Dose zwischen den Fingern, als wolle er sie nicht allzu weit weg legen. »Ja, das war sicher entsetzlich. Ich meine, dass man nichts tun konnte.«
    Erlendur nickte.
    »Tja, und dann wurden die Leichen an Land getrieben, wie immer bei Schiffbrüchen«, sagte Þórður. »Sie wurden ins Eishaus am Ort gebracht und auf irgendwelche Bretter gelegt, die als Leichenbahre dienten, glaube ich. Sie mussten ganz gerade hingelegt werden, bevor die Leichenstarre

Weitere Kostenlose Bücher