Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Zeitungsmeldungen war auch ein relativ undeutliches Foto abgedruckt, auf dem Jakobs Sarg in die Erde gesenkt wurde. In der Bildunterschrift wurden die Namen der vier Männer, die den Sarg getragen hatten, aufgeführt. Erlendur konnte die Gesichtszüge der Männer kaum erkennen, aber das spielte keine Rolle, denn Hrund hatte sich ganz genau an den Namen des Mannes erinnert, der wichtig für ihn war. Die Bibliothekarin half ihm dabei, nach näheren Angaben in den biografischen Nachschlagewerken zu suchen, und bald hatte sie die einschlägigen Informationen über den Mann und seine Familie herausgesucht.
»Seine Tochter lebt in Djúpivogur«, sagte sie nach kurzer Suche im Internet zu Erlendur.
Erlendur machte sich zwar unverzüglich auf den Weg, hatte aber keine Eile. Die Straßenverhältnisse waren gut. Zwei Stunden später traf er in Djúpivogur ein und fand problemlos das Haus, in dem die Tochter lebte, ein altes, aber gut instand gehaltenes Einfamilienhaus. Über dem Eingang brannte Licht, und in einem Fenster, das er für das Küchenfenster hielt, war ebenfalls Licht, aber er sah keine Menschenseele.
In den letzten Tagen hatte er mehr als gewöhnlich geraucht. Unterwegs hatte er sich zweimal eine Zigarette angezündet, und jetzt genehmigte er sich noch eine, bevor er die Frau belästigte.
Er stieg aus seinem Jeep aus, erklomm ein paar Stufen und klopfte an die Tür. Er wusste nicht genau, wie er sich vorstellen und wie er sein Anliegen vortragen sollte. Nach kurzem Nachdenken hielt er es für das Beste, sich weiterhin für jemanden auszugeben, der mündliche Überlieferungen und Berichte aus der Region erforschte. Damit war er bislang ja auch ganz gut gefahren.
Niemand reagierte auf sein Klopfen, deswegen drückte er auf die Schelle neben der Tür, und er hörte, wie es drinnen klingelte. Irgendwo im Haus lief ein Fernseher. Er klingelte noch einmal, und dann hörte er, wie der Fernseher leiser gestellt wurde. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und ein Mann in rot kariertem Hemd starrte Erlendur an.
»Ist Ásta vielleicht zu Hause?«, fragte Erlendur, der davon ausging, dass es sich um ihren Mann handeln müsste.
Der Mann betrachtete ihn noch eine Weile wortlos, er war augenscheinlich überrascht über diesen Besuch. So spät war es doch noch gar nicht, dachte Erlendur, der heimlich auf seine Armbanduhr schielte.
»Einen Augenblick bitte«, sagte der Mann und verschwand wieder im Haus. Erlendur hörte, dass der Fernseher wieder lauter gestellt wurde, und kurze Zeit später kam eine kleine, etwas mollige Frau an die Tür, die einen sportlichen, bequemen Hosenanzug trug. Erlendur stellte sich vor, dass sie vielleicht vor dem Fernseher eingeschlafen war. Ihre etwas schlaffen Gesichtszüge gaben deutlich zum Ausdruck, wie verwundert sie über diesen abendlichen Besuch eines Unbekannten war.
»Du bist Ásta?«, fragte Erlendur.
»Ja«, sagte die Frau und nickte.
»Die Tochter von Ármann Friðriksson?«
»Ja?«, sagte sie wieder, diesmal zögerlicher. »Mein Vater hieß Ármann.«
»Dürfte ich vielleicht einen Moment hereinkommen?«, fragte Erlendur. »Ich würde gerne wissen, ob er jemals mit dir über einen Schiffbruch gesprochen hat, der sich 1949 in Eskifjörður ereignet hat.«
»Einen Schiffbruch?«
»Einer der Seeleute wurde hier in Djúpivogur beerdigt. Soweit ich weiß, war dein Vater einer der Sargträger. Es war der Sarg von Jakob Ragnarsson.«
Einundvierzig
Ásta Ármannsdóttir zögerte zunächst, ließ ihn aber dann doch ins Haus, vermutlich in erster Linie aus Neugier. Sie wollte mit ihm ins Wohnzimmer gehen, aber Erlendur bestand darauf, in der Küche zu bleiben. Sie setzten sich an den Küchentisch, von wo aus der bläuliche Schein des Fernsehers im Wohnzimmer zu sehen war, wo Ástas Mann auf dem Sofa saß. Er hieß Eiríkur Hjörleifsson, wenn man dem Schild an der Haustür Glauben schenken durfte, und verfolgte gespannt eine britische Krimiserie. Ásta kochte einen starken Kaffee für den Gast und stellte einen Rosinenkuchen auf den Tisch. Aus Höflichkeit nahm Erlendur ein Stück, auch wenn er nicht viel für Kuchen übrig hatte.
Er entschuldigte sich wegen des überraschenden und unangekündigten Besuchs und erklärte, dass er ein ganz spezielles Interesse an Unfällen auf See in diesem Landesteil hätte, darunter auch an einem Schiffbruch im Jahre 1949, als die Sigurlína aus Eskifjörður mit Mann und Maus gekentert war. Erlendur sagte, er habe Berichte über den Unfall in den
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