Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
eintrat. So war das wohl gedacht, glaube ich.«
»Und für beide wurde ein Totenschein ausgestellt?«, schrieb Erlendur.
»Ja. Soweit ich weiß, war da ein Vertretungsarzt am Ort, der brauchte eigentlich bloß einen Blick auf sie zu werfen. Dann kamen sie in den Sarg, und der eine von ihnen wurde hier auf dem Friedhof beerdigt.«
Wer hat dir davon erzählt?
»Er hieß Ármann und lebte hier in Djúpivogur. Ein guter Freund von mir, er ist aber schon lange tot. Lungenkrebs. Wir beide kannten einen der Ertrunkenen, das heißt Ármann kannte ihn wesentlich besser als ich. Er hieß Jakob.«
»Aber du kanntest dieses Jakob auch?«, schrieb Erlendur auf das nächste Blatt, das er Þórður reichte.
»Ich kann mich gut an ihn erinnern, als er hier am Ort lebte, damals war man noch jung. Ich kannte ihn aber nicht sehr gut, er hatte so eine Art, mit der ich mich nie anfreunden konnte. Er stammte aus Reykjavík, und darauf bildete er sich etwas ein. Er markierte hier den Frauenheld und war ein ziemlicher Angeber wie so viele junge Burschen. Hatte manchmal Schwierigkeiten wegen der jungen Mädchen, die er verführte, denn er wollte wenig mit ihnen zu tun haben, nachdem er das bekommen hatte, was er wollte. Aber wenn es darauf ankam, konnte er selber auch verdammt eifersüchtig sein, und dann gab es manchmal Probleme.«
»Ármann war einer von denen, die ihn zu Grabe trugen«, schrieb Erlendur.
»Ja, das ist richtig. Später haben sie ihm dann einen Grabstein gesetzt. Ein Freund von ihm, er hieß, glaube ich, Pétur, hat hier bei den Seeleuten und Bootsbesitzern dafür gesammelt.«
»Ármann hat geglaubt, Geräusche aus dem Sarg zu hören«, schrieb Erlendur.
»Ach, das ist dir also auch zu Ohren gekommen«, sagte Þórður und sprach auf einmal etwas leiser. »Man hat hier versucht, das herunterzuspielen, weil es irgendwie so peinlich war. Mit der Zeit sprach Ármann auch gar nicht mehr darüber, dass er etwas gehört hatte. Daraus entstanden nur alle möglichen Spukgeschichten, die mit Jakobs Frau zusammenhingen. Sie war ein paar Jahre vorher ums Leben gekommen. Es hieß, sie sei zu ihm in den Sarg gestiegen.«
»Sie soll ihn verfolgt haben.«
»Genau, und sogar den Schiffbruch verursacht haben. Ich weiß nicht, weshalb sie sich an ihm hätte rächen wollen. Das sind natürlich Hirngespinste wie so vieles andere.«
»Was genau hat Ármann gehört?«, schrieb Erlendur.
»Das weiß ich nicht so richtig«, sagte Þórður. »Er war sich auch selbst nicht so sicher. Das war er wirklich nicht.«
»Soweit ich verstanden habe, war es so etwas wie ein Jammerlaut.«
»Nein, das ist Unsinn. So etwas hat er auf keinen Fall gehört. Kurz bevor er starb, habe ich ihn noch einmal danach gefragt, aber er redete höchst ungern darüber. Ich glaube, er hat es sehr bereut, es jemals erwähnt zu haben. Es handelte sich eher um irgendwelche Bauchgeräusche.«
»Bauchgeräusche?«
»Als wäre noch Luft im Leib gewesen. Was wohl auch ganz gut möglich gewesen wäre, denn zwischen seinem Tod und der Beisetzung waren ja nur ganz wenige Tage vergangen. Das war das Geräusch, das Ármann glaubte gehört zu haben. Aber irgendwelche Jammerlaute hat er nie gehört. Das war so eine Spukgeschichte, die später aufkam. Andere behaupteten, dass die Leiche im Sarg verrutscht sei.«
Erlendur blickte den Alten nachdenklich an.
»Ármanns Tochter weiß angeblich nichts darüber.«
»Ármann hat nie zu jemandem darüber gesprochen, und mir hat er gesagt, dass es besser gewesen wäre, wenn er den Mund gehalten hätte. Natürlich will sie nichts davon wissen, sie will das Gerücht aus der Welt schaffen.«
»Kann sein«, schrieb Erlendur.
»Also von einem Jammerlaut weiß ich nichts«, erklärte Þórður. »Das wäre ja dann wirklich eine unglaubliche Zählebigkeit.«
»Ja«, sagte Erlendur laut.
»Es gibt aber tatsächlich Berichte darüber, dass Menschen über ein hohes Maß an Kälteresistenz verfügen und sich extrem ans Leben klammern können«, sagte Þórður. Diesmal senkte sich seine Stimme fast zu einem Flüstern herab. »Irgendwann habe ich mal von einem Schiffbruch in den Westfjorden gehört, wo drei Mann auf einem der alten Ruderboote ums Leben kamen. Die Leichen wurden im Lagerhaus aufgebahrt, das nachts zugeschlossen wurde. Das geschah in einem Winter mit bitterem Frost. Als man am nächsten Morgen nach den Leichen sah, hatten sich in der Nacht zwei von den Männern aus eigener Kraft von der Bahre erhoben und waren ein Stück
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