Eisfieber - Roman
Abnutzung zu bewahren.
Er ließ seinen Blick durch das Labor schweifen, um sich zu orientieren. Konzentration auf die vor ihm liegende Aufgabe war jetzt gefragt, die Gefahren mussten verdrängt werden. Wegen der Epoxidfarbe, die die Wände luftdicht versiegelte, schien der ganze Raum zu schimmern. Auf Arbeitstischen aus rostfreiem Stahl standen Mikroskope und Computer. Es gab ein Faxgerät, mit dem man Notizen nach draußen schicken konnte, denn es war natürlich nicht möglich, Papier durch die Dusche und die Desinfektionsschleusen zu bringen. Kit sah Kühlschränke zur Aufbewahrung von Proben, Sicherheitsschränke zur Handhabung von biologisch gefährlichen Materialien sowie ein Regal mit Kaninchenkäfigen unter einer durchsichtigen Plastikabdeckung. Wenn das Telefon klingelte, leuchtete ein rotes Licht über der Tür auf, weil in den Schutzanzügen kaum etwas zu hören war. Ein blaues Licht diente zur Warnung im Notfall. Überwachungskameras deckten jeden Zentimeter im Raum ab.
Kit deutete auf eine Tür. »Ich glaube, der Tresor ist dort drin.« Er durchquerte den Raum, wobei sich sein Luftschlauch mit jedem Schritt verlängerte, öffnete die Tür zu einer gerade mal schrankgroßen Kammer, in der sich ein Kühlschrank mit einer Tastatur auf einer Arbeitsfläche befand. Die Zahlenfolge auf den LED -Tasten wechselte nach dem Zufallsprinzip, sodass der Code auch dann nicht herauszubekommen war, wenn man einer zugangsberechtigten Person auf die Finger schaute. Doch da Kit die Anlage selbst installiert hatte, war ihm die Kombination vertraut – es sei denn, man hätte sie inzwischen geändert.
Er tippte die Zahlen ein und zog am Türgriff.
Der Kühlschrank ging auf.
Nigel trat hinter Kit und blickte ihm über die Schulter.
Das kostbare Antiviren-Medikament lagerte, abgefüllt in Einwegspritzen verschiedener Dosierung, in kleinen Pappkartons. Kit deutete auf das Kühlschrankfach. Er hob die Stimme, sodass Nigel ihn durch die Schutzanzüge hindurch verstehen konnte. »Das ist das Medikament.«
»Das Medikament interessiert mich nicht«, sagte Nigel.
Kit glaubte sich verhört zu haben. »Wie bitte?«, rief er.
»Das Medikament interessiert mich nicht«, wiederholte Nigel.
Kit verstand die Welt nicht mehr. »Was redest du da für einen Blödsinn? Wozu sind wir denn dann hier?«
Nigel schwieg.
Im zweiten Fach lagerten diverse Virenproben, mit denen die Versuchstiere infiziert wurden. Nigel studierte aufmerksam die Etiketten und wählte schließlich eine Probe Madoba - 2 aus.
»Was willst du denn damit?«, fragte Kit.
Wortlos räumte Nigel sämtliche Madoba - 2 -Proben aus dem Kühlschrankfach. Es waren insgesamt zwölf Schachteln.
Um jemanden umzubringen, genügte eine einzige. Zwölf dieser Proben konnten eine Epidemie auslösen. Trotz des Schutzanzugs hätte Kit sich gescheut, die Schachteln auch nur anzurühren. Doch was hatte Nigel vor?
»Ich dachte«, sagte Kit, »du handelst im Auftrag von so einem internationalen Pharma-Multi.«
»Ich weiß.«
Nigel konnte es sich leisten, Kit für die Arbeit dieser Nacht dreihunderttausend Pfund zu zahlen. Kit wusste nicht, was Elton und Daisy bekamen, doch selbst wenn es erheblich weniger war, mussten Nigels Ausgaben bei gut einer halben Million liegen. Damit sich das Geschäft für ihn lohnte, musste sein eigenes Honorar bei mindestens einer, wenn nicht gar zwei Millionen Pfund liegen. Das Medikament war diesen Preis leicht wert. Aber wer war schon bereit, eine Million Pfund für einen tödlichen Virus zu bezahlen?
Kaum hatte sich Kit diese Frage gestellt, da fiel ihm auch schon die Antwort ein.
Nigel trug die Schachteln mit den Proben quer durchs Labor und stellte sie in eine Sterilbank.
Eine Sterilbank war ein Glaskasten mit einem Schlitz auf der Stirnseite, durch den der Wissenschaftler die Arme stecken konnte, um innerhalb des Kastens Experimente durchführen. Eine Pumpe sorgte dafür, dass die Luft von außen nach innen strömte. Eine perfekte Versiegelung war nicht notwendig, sofern der Wissenschaftler einen Schutzanzug trug.
Nigel öffnete die burgunderfarbene Ledermappe. Die obere Hälfte war mit Kühlaggregaten aus blauem Plastik ausgelegt. Virusproben mussten, wie Kit wusste, bei niedrigen Temperaturen aufbewahrt werden. Die untere Hälfte war angefüllt mit weißen Styroporchips, wie sie zur Verpackung zerbrechlicher Gegenstände verwendet werden. Inmitten der Chips lag wie ein kostbares Juwel ein ganz gewöhnlicher Parfümzerstäuber. Er war
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