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Eisfieber - Roman

Titel: Eisfieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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vollkommener Dunkelheit.
    Wir müssen uns weiter von der Farm entfernt haben, als ich dachte, sagte er sich. Also dauert es jetzt auch länger, bis wir wieder zurück sind. Wieder änderte er die Richtung, einmal mehr nach rechts. Inzwischen war er so oft vom geraden Weg abgebogen, dass er nicht mehr sicher war, ob er alles richtig behalten hatte. Nach zehn weiteren Schritten durch den Schnee blieb er stehen.
    »Haben wir uns verirrt?«, fragte Sophie mit dünnem Stimmchen.
    »Wir müssen in unmittelbarer Nähe der Scheune sein!«, gab Craig verärgert zurück. »Wir sind doch nur ein paar Schritte durch den Garten gegangen.«
    Sophie legte ihre Arme um ihn und drückte ihn fest. »Du kannst doch nichts dafür.«
    Doch, das konnte er – dennoch war er Sophie dankbar.
    »Wenn wir laut rufen«, schlug sie vor, »hören uns vielleicht Caroline und Tom und melden sich.«
    »Oder diese Kerle in der Küche hören uns.«
    »Selbst das wäre besser, als hier draußen zu erfrieren.«
    Sophie hatte Recht, nur wollte Craig das nicht zugeben. Wie kann man auf ein paar Quadratmetern dermaßen in die Irre gehen, dachte er. Das ist doch einfach unfassbar.
    Er nahm Sophie in die Arme, fühlte sich jedoch der Verzweiflung nahe. Weil ihre Angst größer gewesen war als die seine, hatte er sich ihr überlegen gefühlt, vorübergehend sogar wie ein erwachsener Mann, der seine Freundin vor allem beschützt. Doch nun hatte er sie beide in die Irre geführt. Toller Mann, dachte er, toller Beschützer! Sophies Freund, dieser Jurastudent, hätte es bestimmt besser gemacht – vorausgesetzt, es gab ihn tatsächlich.
    Am Rande seines Blickfelds blitzte ein Licht auf.
    Er drehte den Kopf in die entsprechende Richtung, konnte aber in der Schwärze der Nacht nichts mehr sehen.
    Sophie spürte seine Anspannung. »Was ist los?«
    »Ich dachte, ich hätte ein Licht gesehen.« Als er sich Sophie zuwandte, schien das Licht am äußersten Rande seines Blickwinkels wieder aufzutauchen – nur um sogleich wieder zu verschwinden, als er es wieder genauer ins Auge fassen wollte.
    Vage erinnerte er sich an seinen Biologieunterricht. Gab es da nicht so etwas wie periphere Wahrnehmung, mit der sich Dinge erkennen ließen, die unsichtbar blieben, wenn man sie direkt ansah? Der Grund für dieses Phänomen hing mit dem blinden Fleck auf der Netzhaut zusammen. Noch einmal wandte Craig seinen Kopf Sophie zu – und wieder tauchte das Licht auf. Diesmal versuchte er nicht, frontal nach der Lichtquelle zu schauen, sondern konzentrierte sich auf das, was er ohne Bewegung von Kopf und Pupillen wahrnahm. Das Licht flackerte, doch es war da.
    Er drehte den Kopf um, und das Licht verschwand, aber Craig wusste nun, woher es kam. »Hier lang!«
    Sie stapften wieder durch den Schnee. Das Licht zeigte sich jetzt nicht mehr, und Craig fragte sich schon, ob er einer Halluzination erlegen war, vergleichbar einer Fata Morgana in der Wüste. Doch dann schimmerte es vor ihnen durch die Nacht – und war sofort wieder verschwunden.
    »Ich hab es gesehen!«, rief Sophie, und sie trotteten weiter. Sekunden später war das Licht wieder da, und diesmal blieb es. Eine ungeheure Erleichterung überkam Craig. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er tatsächlich geglaubt, er müsse sterben und werde Sophie mit sich in den Tod reißen.
    Als sie näher kamen, erkannten sie die Lampe über der Hintertür. Sie waren im Kreis gegangen und wieder am Ausgangspunkt angekommen.

06.15 Uhr
     
     

     
     
     
     
     
    Miranda blieb lange Zeit reglos unter dem Bett liegen. Die Angst vor einer möglichen Rückkehr Daisys lähmte sie. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sie in ihren Motorradstiefeln ins Zimmer stampfen, sich auf den Boden knien und unters Bett schauen. Sie glaubte Daisys grauenerregende Brutalo-Fratze zu sehen, den kahl rasierten Schädel, die gebrochene Nase und die schwarzen Augen, die, vom dunklen Eyeliner umschattet, wie blau geschlagen wirkten. Allein diese Vision war so schrecklich, dass Miranda von Zeit zu Zeit die Augen zukniff, bis auf der Innenseite ihrer Lider ein Feuerwerk zu sprühen begann.
    Der Gedanke an Tom, ihren elfjährigen Sohn, war es schließlich, der ihre Lebensgeister neu belebte. Sie musste ihn beschützen – die Frage war nur, wie. Allein konnte sie gar nichts ausrichten. Sie wäre bereit gewesen, sich als Schutzschild zwischen die Kinder und die Eindringlinge zu stellen – nur, was hätte das für einen Sinn? Die packen mich einfach und werfen mich beiseite

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