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Eisfieber - Roman

Titel: Eisfieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und schlüpfte seitwärts unter das große Doppelbett.
    Sie schloss die Augen und versuchte sich ganz klein zu machen. Dann kam ihr das idiotisch vor, und sie schlug die Augen wieder auf. Sie sah Hugos nackte Füße mit haarigen Knöcheln und ein Paar schwarze Motorradstiefel mit Stahlkappen. Sie hörte, wie Hugo sagte: »Hallo, schöne Frau, wer sind denn Sie?«
    Bei Daisy verfing sein Charme nicht. »Her mit dem Telefon!«, herrschte sie ihn an.
    »Ich will bloß …«
    »Nein, du fetter Sack.«
    »Hier, nehmen Sie ’s.«
    »Und Sie kommen auch mit.«
    »Ich muss mir erst was anziehen.«
    »Keine Angst, ich beiß dir dein Schwänzchen nicht ab.«
    Miranda sah, wie sich Hugos Füße von Daisy wegbewegten. Die Stiefel setzten ihm sofort nach, dann klang es wie ein Schlag, Hugo stieß einen Schrei aus, und beide Fußpaare gingen auf die Tür zu und verschwanden aus Mirandas Blickfeld. Gleich darauf hörte sie, wie zwei Personen die Treppe hinuntergingen.
    »O mein Gott«, sagte Miranda zu sich selber. »Was mach ich denn jetzt bloß?«
     

06.00 Uhr
     
     

     
     
     
     
     
    Craig und Sophie lagen Seite an Seite auf den Bodenbrettern des Dachbodens und spähten durch das Loch hinunter, als Craigs Vater nackt von Daisy in die Küche gezerrt wurde.
    Craig war gleichermaßen entsetzt wie verstört. Das war eine Szene wie aus einem Albtraum und erinnerte an ein altes Gemälde, auf dem dargestellt wird, wie die Sünder in die Hölle gezerrt wurden. Dass diese gedemütigte, hilflose Gestalt sein Vater sein sollte, der einzige Mensch, der seiner dominanten Mutter die Stirn zu bieten wagte, der Mann, der die ganzen fünfzehn Jahre seines bisherigen Lebens sein Orientierungspunkt gewesen war? Craig konnte es kaum fassen. Er fühlte sich desorientiert und gewichtslos, als habe man die Schwerkraft außer Kraft gesetzt und ihm den Sinn für oben und unten genommen.
    Sophie begann leise zu weinen. »Das ist so furchtbar« flüsterte sie. »Die bringen uns bestimmt alle um.«
    Dass er sie trösten musste, verlieh ihm neue Kraft. Craig legte seinen Arm um ihre schmalen Schultern. Sophie zitterte. »Es ist schrecklich, ja, aber noch sind wir nicht tot«, sagte er. »Wir können Hilfe holen.«
    »Wie denn?«
    »Wo genau ist dein Handy?«
    »Ich hab’s in der Scheune gelassen, auf dem Heuboden oben, neben dem Bett. Ich glaube, ich hab es beim Umziehen in den Koffer fallen lassen.«
    »Wir müssen es holen und die Polizei anrufen.«
    »Und wenn uns diese schrecklichen Leute sehen?«
    »Wir müssen uns von den Küchenfenstern fern halten.«
    »Das geht doch gar nicht – die Scheunentür liegt direkt gegenüber!«
    Craig wusste, dass sie Recht hatte, aber ihm war genauso klar, dass ihnen keine andere Wahl blieb. Sie mussten das Risiko eingehen. »Die werden doch nicht dauernd zum Fenster rausschauen.«
    »Und wenn sie ’s doch tun?«
    »Bei diesem Schneetreiben kann man doch kaum was sehen.«
    »Die entdecken uns bestimmt!«
    Craig wusste nicht mehr, was er noch sagen sollte. »Es kommt ganz einfach auf einen Versuch an.«
    »Ich trau mich nicht. Lass uns hier bleiben!«
    Das war kein Versuch, sondern eine Versuchung. Doch Craig wusste ganz genau: Wenn er sich jetzt nur versteckte und nichts tat, um seiner Familie zu helfen, würde er sich bis in alle Ewigkeit dafür schämen. »Wenn du willst, kannst du ja hier bleiben. Ich gehe rüber.«
    »Nein – lass mich nicht allein!«
    Mit dieser Reaktion hatte er gerechnet. »Dann wirst du mitkommen müssen.«
    »Aber ich will nicht.«
    Er drückte ihre Schulter und küsste Sophie auf die Wange. »Komm schon, sei tapfer.«
    Sie wischte sich die Nase an ihrem Ärmel ab. »Ich versuch’s.«
    Craig stand auf und zog Jacke und Stiefel an. Sophie saß reglos da und sah ihm beim Kerzenschein zu. Um ja nicht in der Küche unten gehört zu werden, trat Craig ganz leise auf, als er ihre Gummistiefel holte. Er kniete nieder und zog sie ihr über die schmalen Füße. Sophie war noch immer wie gelähmt vor Schock und half ihm allenfalls passiv. Vorsichtig zog er sie hoch, half ihr in den Anorak, zog den Reißverschluss hoch und stülpte die Kapuze über ihren Kopf. Dann strich er ihre Haare mit der Hand zurück. Mit der Kapuze sah sie aus wie ein kleiner Junge, und wieder schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie hübsch sie doch war.
    Craig öffnete die große Speichertür. Ein eiskalter Wind blies eine Schneewolke in den Raum. Ein halbkreisförmiger Lichtschein umgab die Lampe über der

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