Eisfieber - Roman
Miranda hielt den Atem an. Daisy trampelte ins Bad und kam wieder zurück. Schranktüren wurden aufgerissen. Miranda biss sich auf den Daumen, um nicht vor Angst zu schreien. Es gab ein schleifendes Geräusch, als Daisy in den Anzügen und Hemden herumstöberte. Die niedrige Tür war kaum zu sehen – es sei denn, man ging in die Knie und sah unter den herabhängenden Kleidungsstücken nach. Ob Daisy wohl so gründlich war?
Sekundenlang herrschte absolute Stille.
Dann entfernten sich Daisys Schritte durch das Schlafzimmer.
Miranda hätte vor Erleichterung am liebsten geweint. Dann riss sie sich zusammen: Du musst tapfer sein, sagte sie sich. Was war in der Küche los? Das Loch in den Dielenbrettern fiel ihr ein. Sie kroch hinüber und beugte sich darüber.
Hugo bot ein so erbarmungsvolles Bild, dass Kit beinahe Mitleid mit ihm empfand. Er war ein kleiner Mann und ziemlich schwammig. Er hatte regelrechte Brüste mit haarigen Nippeln und einen Bauch, der über seine Genitalien hing. Die dünnen Beine unter dem runden Rumpf ließen ihn wie eine misslungene Puppe erscheinen. Noch jämmerlicher wirkte er, wenn man wusste, wie er normalerweise auftrat: Nach außen hin stets selbstsicher und gelassen, trug er gern schicke Anzüge, die seiner Figur schmeichelten, und flirtete mit dem Selbstvertrauen eines Filmstars. Jetzt aber wirkte er gedemütigt und verschreckt.
Die Familie saß zusammengedrängt an einem Ende des Tisches, und zwar direkt neben der Speisekammer, fernab von den Ausgängen: Kit selbst, seine Schwester Olga in ihrem schwarzseidenen Morgenmantel, Vater Stanley, dessen Lippen nach Daisys brutalem Faustschlag geschwollen waren, und Olgas Ehemann, der nackte Hugo. Stanley saß auf einem Stuhl und hielt Nellie fest. Er streichelte die Hündin unablässig, um sie zu beruhigen, denn er befürchtete, sie könnte die Gangster angreifen und dann von ihnen erschossen werden. Nigel und Elton standen auf der anderen Seite des Tisches, und Daisy durchsuchte das obere Stockwerk.
Hugo stand auf und trat einen Schritt vor. »In der Wäschekammer sind Handtücher und dergleichen«, sagte er. Die Wäschekammer schloss sich auf der gleichen Seite wie das Esszimmer an die Küche an. »Kann ich mir kurz was holen? Ich möchte mir gerne was umlegen.«
Daisy, die gerade von ihrer Durchsuchung zurückkam, hörte ihn und ergriff ein Geschirrtuch. »Wie wär’s denn damit?«, sagte sie und schlug damit nach seinem Schritt. Kit erinnerte sich noch von den Balgereien in den Duschräumen seiner Schule, wie weh so etwas tun konnte. Hugo jaulte unwillkürlich auf und drehte sich um. Daisy schlug noch einmal nach ihm und erwischte ihn dieses Mal an der Kehrseite. Hugo verdrückte sich in die Ecke, und Daisy lachte schallend. Es war eine absolute Beschämung für Hugo. Der Anblick war so unangenehm, dass Kit davon leicht übel wurde.
»Hör mit dem Zirkus auf!«, befahl Nigel wütend. »Ich will jetzt wissen, wo diese zweite Schwester ist, diese Miranda. Sie hat sich verkrümelt. Wo ist sie hin?«
Daisy antwortete: »Ich hab das ganze Haus zwei Mal abgesucht, hier drin ist sie nicht mehr.«
»Vielleicht versteckt sie sich irgendwo.«
»Vielleicht kann sich die Fotze unsichtbar machen – ich finde sie jedenfalls nicht.«
Kit wusste, wo sich Miranda aufhielt. Vor ein paar Minuten hatte er beobachtet, wie Nellie plötzlich den Kopf hob und ein Ohr aufstellte. Irgendjemand war auf den Dachboden gegangen – wer anders als Miranda sollte das sein? Kit fragte sich, ob Nellies Reaktion auch seinem Vater aufgefallen war. Ohne Telefon und nur im Nachthemd war Miranda da oben keine große Bedrohung. Dennoch überlegte Kit, ob er Nigel nicht vor ihr warnen konnte.
»Vielleicht ist sie rausgegangen«, sagte Elton. »Der Lärm vorhin kam dann wahrscheinlich von ihr.«
Nigels Antwort verriet, dass er langsam die Geduld verlor. »Und warum hast du sie nicht gefunden, als du rausgegangen bist?«
»Weil ’s zappenduster ist da draußen!« Nigels herrischer Ton regte Elton allmählich auf.
Kit glaubte eher, dass eines der Kinder für den Lärm verantwortlich gewesen war. Wahrscheinlich hatte es irgendwelchen Unfug da draußen getrieben. Dem lauten Poltern war ein dumpfer Plumps gefolgt und unmittelbar danach ein Schrei. Es hatte geklungen, als ob ein Mensch oder ein Tier gegen die Hintertür gestoßen wäre. Sicher, auch ein verirrtes Reh konnte die Tür gerammt haben – nur pflegten Rehe nicht zu schreien, sondern gaben eher muhende
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