Eisfieber - Roman
Wissenschaftler war. Kit versuchte, die Höhe der Schulden, die inzwischen aufgelaufen waren, zu verdrängen; die Zahl machte ihn geradezu krank vor Angst und Selbstverachtung. Schon beim bloßen Gedanken daran hätte er sich am liebsten von der Brücke über den Forth gestürzt. Doch der Lohn für die Tat, die er heute Abend begehen wollte, würde nicht nur seine Schulden decken, sondern auch noch für einen neuen Start reichen.
Er nahm seinen Kaffee mit ins Badezimmer und sah in den Spiegel. Vor Jahren, als er noch zum britischen Team für die olympischen Winterspiele gehörte, hatte er jedes Wochenende beim Skifahren oder beim Training verbracht. Schlank und fit wie ein Windhund war er damals gewesen. Jetzt fiel ihm auf, dass seine Konturen weicher geworden waren. »Du hast zugenommen«, sagte er zu seinem Spiegelbild. Sein Haar war allerdings nach wie vor schwarz und voll und fiel ihm keck in die Stirn. Seinem Gesicht war die Anspannung anzumerken. Er probierte die Hugh-Grant-Pose: den Kopf verschämt gesenkt, die blauen Augen schräg nach oben blickend, dazu ein gewinnendes Lächeln … Doch, es klappte noch. Mochte Toni Gallo auch dagegen immun sein – Maureen war erst gestern Abend noch darauf geflogen.
Er drehte das Fernsehgerät im Badezimmer an und begann sich zu rasieren. Der britische Premierminister war in seinem schottischen Wahlkreis eingetroffen, um dort die Weihnachtsfeiertage zu verbringen. Die Glasgow Rangers hatten neun Millionen Pfund für einen Mittelstürmer namens Giovanni Santangelo bezahlt. »Guter, alter schottischer Name«, murmelte Kit vor sich hin. Das Wetter sollte so bleiben, wie es war: kalt, aber klar. Ein heftiger Schneesturm über der Nordsee wanderte von Norwegen aus Richtung Süden, sollte aber westlich an Schottland vorbeiziehen.
Es folgten die Lokalnachrichten – und mit ihnen ein Bericht, der Kit das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Er hörte die vertraute Stimme von Carl Osborne, einem Starreporter, der für seine Neigung zu blutrünstigen Storys berühmt und berüchtigt war. Auf dem Bildschirm erschien das Gebäude, in dem Kit am Abend einbrechen wollte: Osborne stand vor den Toren von Oxenford Medical. Es war zwar noch dunkel, doch tauchten Sicherheitsscheinwerfer die verschnörkelte viktorianische Architektur in gleißendes Licht. »Was ist denn da los?«, fragte Kit besorgt.
»Hier bei uns in Schottland – genauer gesagt: in dem Gebäude hinter mir, das von Ortsansässigen als ›Frankensteins Schloss‹ bezeichnet wird – experimentieren Wissenschaftler mit einem der gefährlichsten Krankheitserreger, den die Menschheit kennt«, sagte Osborne.
Kit hatte noch nie jemanden von »Frankensteins Schloss« reden hören. Osborne musste sich das aus den Fingern gesogen haben. Der Spitzname des Gebäudekomplexes war »der Kreml«.
»Aber die Natur rächt sich offenbar für die unerbetene Einmischung: Heute Nacht starb ein junger Laborangestellter, der sich mit einem dieser Viren angesteckt hatte.«
Kit legte seinen Rasierapparat beiseite. Der Fall würde dem Ansehen von Oxenford Medical in der Öffentlichkeit nachhaltig schaden, das stand fest. An jedem anderen Tag hätte er sich über den Ärger, der sich über seinem Vater und der Firma zusammenbraute, diebisch gefreut – nur heute nicht. Es war gut möglich, dass die negative Publicity seine eigenen Pläne durchkreuzte.
»Der einunddreißigjährige Michael Ross starb an einem Virus namens Ebola. Der Name ist von dem kleinen afrikanischen Dorf abgeleitet, in dem die Krankheit erstmals auftrat. Die grauenhafte Seuche verursacht schmerzhafte, eiternde Geschwüre, die den gesamten Körper des Opfers befallen …«
Kit war sich ziemlich sicher, das Osbornes Bericht mit den konkreten Fakten nicht viel zu tun hatte, doch die Fernsehzuschauer konnten das nicht wissen. Die Sendung war Sensationshascherei auf niedrigstem Niveau. Die Frage war nur, ob der Tod dieses Michael Ross den geplanten Diebstahl gefährdete.
»Oxenford Medical hat immer wieder verlauten lassen, seine Forschungen stellten absolut kein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung und die Umwelt dar. Die Berechtigung dieser Behauptung muss nach dem Tod von Michael Ross ernsthaft angezweifelt werden.«
Osborne trug einen unförmigen Anorak und eine Wollmütze. Er erweckte den Eindruck, als habe er in der vergangenen Nacht nicht viel geschlafen. Irgendjemand hat ihn mitten in der Nacht angerufen und ihm einen Tipp gegeben, dachte Kit.
»Ross wurde
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