Eisfieber - Roman
nichts ins Protokollbuch eingetragen hat.«
»Hätte, ja. Aber vergessen Sie nicht, dass ein Mann siebenunddreißig Monitore überwachen muss – und außerdem mit den Arbeitsabläufen im Labor nicht vertraut ist.«
Stanley gab ein zustimmendes Knurren von sich.
»Michael dürfte davon ausgegangen sein, dass der Fehlbestand erst bei der Jahresinventur auffallen würde, und da hätte er sich immer auf ein Versehen herausreden können. Er wusste nicht, dass ich eine außerplanmäßige Inspektion vorhatte.«
Auf dem Monitor war jetzt zu sehen, wie Michael den Tresor verriegelte, in das Labor mit den Kaninchen zurückkehrte und seinen Luftschlauch wieder anschloss. »Er ist mit seiner Arbeit fertig«, erklärte Toni. »Trotzdem geht er noch einmal zu den Kaninchenställen.« Erneut war nicht zu erkennen, was er dort tat, weil er der Kamera den Rücken zukehrte. »Das ist der Moment, wo er sein Lieblingskaninchen aus dem Stall holt und es, wie ich glaube, in einen eigenen Mini-Schutzanzug steckt, den er wahrscheinlich aus Teilen eines alten, ausgemusterten Anzugs hergestellt hat.«
Man konnte nun Michaels linke Seite sehen. Als er zum Ausgang ging, schien er unter dem rechten Arm etwas zu tragen, aber es ließ sich nicht erkennen, was.
Wer das BSL - 4 -Labor verließ, musste zunächst durch eine chemische Dusche, die den Schutzanzug dekontaminierte. Bevor man wieder in seine Alltagskleidung schlüpfte, war noch eine normale Dusche vorgeschrieben. »In der chemischen Dusche war das Tier durch den Kaninchenschutzanzug geschützt«, fuhr Toni fort. »Danach hat Michael ihn vermutlich in die Verbrennungsanlage geworfen. Die Wasserdusche machte dem Tier nichts aus, und im Umkleideraum hat Michael es dann in den Matchsack gesteckt. Als er das Gebäude verließ, haben die Wachposten gesehen, dass er den gleichen Matchsack bei sich hatte wie bei seiner Ankunft, und sich nichts dabei gedacht.«
Stanley lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Also, ich bin erschüttert«, sagte er. »Ich hätte jeden Eid geschworen, dass so etwas nicht möglich wäre.«
»Michael hat das Kaninchen mit nach Hause genommen. Wahrscheinlich hat es ihn gebissen, als er ihm das Gegenmittel gespritzt hat. Er hat sich dann das Mittel selbst injiziert und glaubte damit gegen eine Ansteckung immun zu sein – nur lag er damit leider falsch.«
Stanley wirkte auf einmal traurig. »Der arme Junge. Dieser arme, dumme Junge!«
»Jetzt wissen Sie alles, was ich weiß«, sagte Toni und wartete auf das Urteil. War wieder einmal eine Lebensphase zu Ende? Musste sie sich nach Weihnachten einen neuen Job suchen?
Er sah sie unverwandt an. »Es gibt eine naheliegende Sicherheitsvorkehrung, die diese Panne verhindert hätte«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte Toni. »Wir hätten bei jedem, der das BSL - 4 -Labor betritt oder verlässt, die Taschen durchsuchen müssen.«
»Genau.«
»Heute Morgen habe ich eine entsprechende Anordnung erlassen.«
»Und damit die Stalltür geschlossen, nachdem das Pferd ausgebüchst ist.«
»Es tut mir Leid«, sagte sie und war sich sicher, dass er von ihr nun eine freiwillige Kündigung erwartete. »Sie bezahlen mich dafür, dass es nicht zu solchen Vorfällen kommt. Ich habe diesen Vorfall nicht verhindert und daher versagt. Ich denke, Sie erwarten von mir jetzt, dass ich den Dienst quittiere.«
Er wirkte verärgert. »Wenn ich Sie rauswerfen will, erfahren Sie das früh genug.«
Sie starrte ihn an. War das ein Strafaufschub?
Stanleys Gesicht wirkte jetzt weniger streng. »Okay, Sie sind ein gewissenhafter Mensch und fühlen sich schuldig, obwohl weder Sie noch sonst irgendjemand einen solchen Fall voraussehen konnte.«
»Ich hätte die Durchsuchung der Taschen früher einführen können.«
»Wogegen ich wahrscheinlich mein Veto eingelegt hätte, um die Belegschaft nicht zu verärgern.«
»Ach ja?«
»Lassen Sie sich Folgendes gesagt sein: Seit Ihrem Dienstantritt sind unsere Sicherheitsvorkehrungen so scharf wie nie zuvor. Sie sind verdammt gut in Ihrem Job, und ich möchte Sie behalten. Also Schluss mit dem Selbstmitleid, ja?«
Toni war so erleichtert, dass ihr ganz schwach wurde. »Ich danke Ihnen«, sagte sie.
»So, heute gibt es viel zu tun – am besten fangen wir gleich damit an.« Stanley Oxenford stand auf und verließ den Raum.
Toni schloss die Augen. Er hatte ihr vergeben. Danke, dachte sie, vielen Dank.
08.30 Uhr
Miranda Oxenford bestellte einen Cappucino Viennoise ,
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