Eisfieber - Roman
einem Punkt habe ich das Richtige getan.
»Was ist mit den Mitarbeitern, die gerade im Urlaub sind?«, fuhr Stanley fort.
»Sie werden alle noch im Laufe des Vormittags angerufen.«
»Gut. Wissen Sie inzwischen, was geschehen ist?«
»Ja. Ich hatte Recht, und Sie lagen mit Ihrer Vermutung falsch. Es war das Kaninchen.«
Trotz der tragischen Umstände lächelte Stanley. Er ließ sich gerne herausfordern, vor allem von attraktiven Frauen. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe mir die Videoaufzeichnungen angesehen. Wollen Sie sie auch sehen?«
»Ja.«
Sie gingen durch einen langen Flur mit Faltwerk-Vertäfelung aus Eichenholz und erreichten dann durch einen Seitengang die zentrale Überwachungsstation, die allgemein nur »der Kontrollraum« genannt wurde. Die Fenster des ehemaligen Billardzimmers waren aus Sicherheitsgründen zugemauert worden. Die Decke hatte man abgesenkt, um einen Schlupfwinkel für ein Schlangennest voller Kabel zu schaffen. Eine Wand war mit einer Reihe von Fernsehmonitoren zugestellt, auf denen alle sicherheitsrelevanten Bereiche des Geländes, darunter jeder einzelne Raum des BSL - 4 -Labors, zu sehen waren. Auf einem langen Arbeitstisch befanden sich Touchscreens, über die die Alarmanlagen kontrolliert wurden. Tausende von elektronischen Kontrollen überwachten die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Belüftungssysteme in sämtlichen Laboratorien – wenn irgendwo eine Tür zu lange offen stand, schrillte eine Alarmglocke. Ein Werkschutzmitarbeiter in blitzsauberer Uniform saß vor dem Monitor, über den man Zugang zum zentralen Sicherheitscomputer bekam.
»Hier ist ja mächtig aufgeräumt worden seit meinem letzten Besuch«, sagte Stanley überrascht.
Bei Tonis Dienstantritt hatte ein arges Chaos im Kontrollraum geherrscht: Überall standen und lagen schmutzige Kaffeetassen, alte Zeitungen, defekte Kugelschreiber und Tupperware-Dosen mit Essensresten herum. Inzwischen war alles sauber und ordentlich aufgeräumt. Auf dem Schreibtisch lagen nur noch die Unterlagen, die der Dienst habende Wachmann gerade brauchte. Toni freute sich, dass Stanley die Veränderung aufgefallen war.
Er warf einen Blick in die ehemalige Waffenkammer, den angrenzenden Raum, der taghell erleuchtet war und randvoll mit elektronischem Gerät, darunter dem Rechner, der die Telefonanlage steuerte. Damit im Fall eines technischen Versagens die Ausfallzeit so kurz wie möglich gehalten werden konnte, war jedes einzelne der an die tausend Kabel mit deutlich beschrifteten, fest montierten Schildchen versehen. Stanley nickte zufrieden.
Das alles kann ich auf der Habenseite verbuchen, dachte Toni, doch dass ich eine gute Organisatorin bin, weiß Stanley ja längst … Meine Hauptaufgabe besteht darin, zu verhindern, dass aus dem BSL - 4 -Labor gefährliche Substanzen verschwinden – und genau darin habe ich versagt.
In Augenblicken wie diesen konnte sie beim besten Willen nicht sagen, was in Stanley Oxenfords Kopf vorging. Trauert er um Michael Ross, fragte sich Toni. Macht er sich Sorgen um die Zukunft der Firma? Oder ärgert er sich über die schwere Sicherheitspanne? Gegen wen wird sich sein Zorn richten? Gegen mich, den toten Michael oder gegen Howard McAlpine? Und wenn ich ihm jetzt zeige, was Michael getan hat – wird er mich loben, weil ich es so schnell herausgefunden habe, oder schmeißt er mich raus, weil ich es nicht verhindern konnte?
Sie saßen nebeneinander vor einem Monitor, und Toni gab die Befehle ein, mit denen sie die Bilder aufrief, die sie ihm zeigen wollte. Das gewaltige Gedächtnis des Rechners speicherte die Aufnahmen der Überwachungskameras achtundzwanzig Tage lang, ehe er sie löschte. Toni kannte das Programm in- und auswendig und fand sich problemlos darin zurecht.
Neben Stanley zu sitzen erinnerte sie absurderweise an eine Szene aus ihrer Jugend: Sie war vierzehn, saß mit einem Freund im Kino und wehrte sich nicht, als er seine Hand unter ihren Pullover schob. Die Erinnerung war ihr peinlich, und sie spürte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg. Hoffentlich fällt das Stanley nicht auf, dachte sie.
Auf dem Monitor war zu sehen, wie Michael vor dem Haupteingang eintraf und seinen Ausweis präsentierte. »Datum und Zeit sind unten angezeigt«, erklärte Toni. »Es war am 8 . Dezember um 14 . 27 Uhr.« Sie gab einen Befehl ein, und auf dem Bildschirm erschien ein grüner VW Golf, der gerade in eine Parkbucht einbog. Ein schmaler Mann stieg aus und holte eine Art Matchsack von der
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