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Eisfieber - Roman

Titel: Eisfieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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einen Einspänner mit einer Schlagsahnepyramide obendrauf, und in letzter Sekunde auch noch ein Stück Karottenkuchen. Sie steckte das Wechselgeld in ihre Rocktasche und trug das Tablett mit ihrem Frühstück zu dem Tischchen, an dem ihre dünne Schwester Olga, in der Hand eine Zigarette und vor sich einen doppelten Espresso, bereits auf sie wartete. Das Café war mit Papiergirlanden geschmückt, und über dem Panini-Toaster funkelte ein Weihnachtsbaum, doch mit einem feinen Sinn für Ironie hatte irgendjemand dafür gesorgt, dass die Musikanlage mit den Beach Boys gefüttert worden war; sie sangen gerade »Surfin’ USA «.
    Miranda und Olga liefen sich morgens ziemlich oft in diesem Café in der Sauchiehall Street im Herzen Glasgows über den Weg. Miranda war Geschäftsführerin einer hier ansässigen Jobagentur für IT -Fachkräfte, und Olga arbeitete ganz in der Nähe als Anwältin. Beide setzten sich gerne am Morgen vor Dienstbeginn noch einmal fünf Minuten ins Café, um ihre Gedanken zu sammeln.
    Kein Mensch käme auf die Idee, uns für Schwestern zu halten, dachte Miranda, als ihr ein Spiegel kurz ihr Ebenbild zeigte. Sie war klein, hatte gelocktes blondes Haar und eine – nun ja – eher etwas mollige Figur. Olga dagegen war so groß wie Daddy und hatte die gleichen schwarzen Augenbrauen wie ihre verstorbene Mutter, eine gebürtige Italienerin, die nur »Mamma Marta« genannt worden war. Olga trug ihre Arbeitskleidung, einen dunkelgrauen Anzug und sehr spitze Schuhe. Sie hätte ohne weiteres die Rolle der Cruella De Vil aus 101 Dalmatiner spielen können. Wahrscheinlich hatten Schöffen und Geschworene einen Heidenrespekt vor ihr.
    Miranda legte Mantel und Schal ab. Sie trug einen Faltenrock und einen mit Blümchen bestickten Pullover. Sie wollte mit ihrer Kleidung Sympathie gewinnen und niemanden einschüchtern. Als sie sich setzte, fragte Olga: »Du arbeitest heute, an Heiligabend?«
    »Nur ein Stündchen«, erwiderte Miranda. »Ich will nicht, dass über die Feiertage irgendwas Unerledigtes liegen bleibt.«
    »Genauso geht’s mir.«
    »Hast du schon die Nachrichten gehört? Ein Laborangestellter im Kreml ist an einem Virus gestorben.«
    »O Gott, das wird uns bestimmt die Weihnachtsstimmung vermiesen.«
    Manchmal klingt Olga richtig herzlos, dachte Miranda. Dabei ist sie das überhaupt nicht. »Ich hab’s im Radio gehört. Mit Daddy hab ich noch nicht gesprochen, aber anscheinend hat der arme Kerl einen Versuchshamster aus dem Labor lieb gewonnen und mit nach Hause genommen.«
    »Was hat er denn mit dem gemacht? Mit ihm gepennt?«
    »Vermutlich hat das Tier ihn gebissen. Der Mann war alleinstehend, weshalb niemand Hilfe geholt hat. Immerhin spricht einiges dafür, dass er keine weiteren Personen infiziert hat. Aber wie dem auch sei, für Daddy ist das ziemlich schlimm. Bestimmt fühlt er sich verantwortlich, auch wenn er es sich nicht anmerken lassen wird.«
    »Er hätte sich lieber in einer weniger gefährlichen Branche engagieren sollen, in der Atomwaffenforschung zum Beispiel.«
    Miranda lächelte. Sie freute sich, dass sie Olga gerade heute getroffen hatte, denn das gab ihr die erhoffte Chance auf ein paar Worte unter vier Augen. Am Nachmittag versammelte sich die ganze Familie für die Feiertage in Steepfall, dem väterlichen Anwesen. Miranda wollte ihren Bräutigam, Ned Hanley, mitbringen und legte großen Wert darauf, dass Olga nett zu ihm war. Allerdings sprach sie das Thema nicht direkt an. »Hoffentlich verdirbt uns diese Geschichte nicht das Fest, ich hab mich schon so sehr darauf gefreut. Weißt du, dass sogar Kit kommt?«
    »Ich bin mir zutiefst der hohen Ehre bewusst, die unser kleiner Bruder uns zuteil werden lässt.«
    »Erst wollte er nicht kommen, aber dann habe ich ihn dazu überredet.«
    »Daddy wird entzückt sein.« Der Sarkasmus in Olgas Stimme war nicht zu überhören.
    »Jawohl, er wird sich freuen«, gab Miranda nicht ohne Vorwurf zurück. »Es hat ihm schier das Herz gebrochen, als er Kit rausschmeißen musste, das weißt du ganz genau.«
    »Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen. Damals dachte ich, er wäre sogar imstande, jemanden umzubringen.«
    »Aber dann hat er geweint.«
    »Das hab ich nicht mitgekriegt.«
    »Ich auch nicht. Lori hat es mir erzählt.« Lori war Stanleys Haushälterin. »Inzwischen möchte er aber alles vergeben und vergessen.«
    Olga drückte ihre Zigarette aus. »Ich weiß, ich weiß. Daddys Großmut kennt keine Grenzen. Hat Kit endlich einen neuen

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