Eisfieber - Roman
Ventil an ihrem Gürtel an. Der Anzug wurde aufgeblasen, und am Ende sah sein Träger aus wie das Michelin-Männchen.
»Das ist Michael«, sagte Toni. »Er hat sich schneller umgezogen als Monica und befindet sich daher in diesem Augenblick allein im Raum.«
»Sollte nicht vorkommen, kommt aber vor«, sagte Stanley. »Die Zwei-Personen-Regel wird generell eingehalten, aber es gibt minutenlange Lücken. Merda !« Stanley fluchte ziemlich oft auf Italienisch. Das reichhaltige diesbezügliche Vokabular hatte er von seiner Frau gelernt. Da Toni Spanisch konnte, verstand sie meistens alles.
Auf dem Bildschirm war nun zu sehen, wie Michael sich in seinem unförmigen Anzug bewusst langsam auf die Kaninchenställe zubewegte. Dann blieb er mit dem Rücken zur Kamera stehen, und für ein paar Augenblicke verdeckte der aufgeblähte Anzug, was Michael tat. Schließlich wandte er sich wieder ab und ließ einen Gegenstand auf eine Arbeitsfläche aus rostfreiem Stahl fallen.
»Ist Ihnen etwas aufgefallen?«, fragte Toni.
»Nein«, erwiderte Stanley.
»Genauso wenig wie unseren Werkschutzleuten an den Monitoren.« Toni verteidigte ihre Mitarbeiter: Wenn Stanley selber nichts bemerkte, konnte er dem Personal kaum einen Vorwurf machen. »Aber sehen Sie noch einmal genau hin.« Sie ließ den Film zurücklaufen und hielt ihn an der Stelle an, wo Michael ins Blickfeld trat. »Im Käfig oben rechts befindet sich ein Kaninchen, ein einziges.«
»Ja, das sehe ich.«
»Und jetzt sehen Sie sich Michael genau an. Er trägt was unter dem Arm.«
»Ja – eingewickelt in blaues Plastik, das gleiche Zeug, aus dem die Schutzanzüge sind.«
Toni ließ den Film vorlaufen und hielt ihn wieder an, als Michael sich von den Ställen fortbewegte. »Wie viele Kaninchen befinden sich jetzt in dem Käfig oben rechts?«
»Zwei, verflucht noch mal!« Stanley konnte seine Verblüffung nicht verbergen. »Ich dachte, Sie meinten, er habe ein Kaninchen aus dem Labor mitgehen lassen! Dabei haben Sie mir gerade gezeigt, wie er eines hineinschmuggelt!«
»Ja, einen Ersatz. Den Forschern wäre ja sonst sofort aufgefallen, dass ein Tier fehlt.«
»Und was soll das? Was sind seine Motive? Um ein Kaninchen zu retten, verurteilt er ein anderes zum Tode.«
»Ja, was das betrifft, handelt er völlig irrational. Ich kann mir nur vorstellen, dass das gerettete Kaninchen für ihn eine persönliche, besondere Bedeutung hatte.«
»Herrgott noch mal! Ein Kaninchen ist doch wie das andere!«
»Nicht für Michael, nehme ich an.«
Stanley nickte. »Sie haben Recht. Wer kann schon sagen, was zu diesem Zeitpunkt in seinem Hirn vorging?«
Toni spulte den Film vor. »Ansonsten hat er nur seine üblichen Aufgaben erledigt. Er hat nachgesehen, ob noch alle Tiere am Leben waren, hat ihnen Futter und Wasser gegeben und jeden Arbeitsschritt auf einer Liste abgehakt. Monica ist sofort, nachdem sie aus dem Umkleideraum kam, in einem Nebenraum verschwunden, wo sie an ihren Gewebekulturen arbeitete; sie konnte ihn also nicht sehen. Michael hat sich in dem größeren Labor nebenan um die Makaken gekümmert. Die nächste Szene zeigt, wie er daraus zurückkommt, schauen Sie!«
Michael Ross zog den Luftschlauch aus dem Ventil am Gürtel. Das war die gängige Praxis, wenn man innerhalb des Laboratoriums den Raum wechselte. Der Schutzanzug enthielt Frischluft für drei oder vier Minuten. Wenn sie zur Neige ging, beschlug die Gesichtsmaske und warnte somit den Träger. Michael betrat die Kammer, in der der Tresor untergebracht war, ein abgeschlossener Kühlschrank, in dem sich die Proben mit den lebenden Viren befanden. Hier, am bestbewachten Ort im gesamten Haus, lagerten auch sämtliche Vorräte des unbezahlbaren Antivirenmittels. Michael tippte eine Zahlenkombination ein. Die Überwachungskamera innerhalb des Kühlschranks zeigte, wie er zwei Einwegspritzen mit einer jeweils bereits abgemessenen Dosis des Medikaments an sich nahm.
»Die kleinere Dosis ist für das Kaninchen gedacht, die größere vermutlich für ihn selbst, nehme ich an«, sagte Toni. »Wie Sie ist Toni davon ausgegangen, dass das Mittel gegen Madoba - 2 wirksam ist. Er wollte das Kaninchen heilen und sich selbst immunisieren.«
»Die Videoüberwacher hätten doch sehen müssen, wie er das Mittel aus dem Kühlschrank nimmt.«
»Das haben sie sicher auch – aber sie fanden es nicht verdächtig. Michael war zum Umgang mit diesen Substanzen berechtigt.«
»Aber es hätte ihnen doch auffallen müssen, dass er
Weitere Kostenlose Bücher