Eisfieber - Roman
hörbaren Tremor in seiner Stimme wahrzunehmen, der seine innere Erregung verriet. Laurence Mahoneys Drohung hatte ihn furchtbar mitgenommen, und es gelang ihm nur mit Mühe, die Angst um sein Lebenswerk hinter einer ungetrübten Fassade zu verbergen.
Sie beobachtete die Gesichter der versammelten Reporter. Waren sie überhaupt imstande, Stanley richtig zuzuhören und die Bedeutung seiner Arbeit zu erkennen? Toni hatte Erfahrung mit Journalisten. Einige waren intelligent, viele aber strohdumm. Einige wenige fühlten sich der Wahrheit verpflichtet und berichteten entsprechend, die Mehrheit aber hatte solche Skrupel nicht, sondern war nur an Sensationen interessiert. Toni fand es empörend, dass solche Figuren über das Schicksal eines Mannes wie Stanley Oxenford bestimmten. Aber die Macht der Boulevardpresse war eine brutale Tatsache, an der heutzutage niemand mehr vorbeikam. Wenn es auch nur einem dieser Schmierfinken einfiel, Stanley als verrückten Wissenschaftler in einem Frankenstein-Schloss darzustellen, so war nicht mehr auszuschließen, dass die Amerikaner pikiert den Geldhahn zudrehten, und dies wäre eine Tragödie – nicht nur für Stanley, sondern für die ganze Welt.
Sicher, die Erprobungsphase des Antivirenmittels konnte auch woanders weitergeführt und zu Ende gebracht werden. Aber ein völlig ruinierter Stanley Oxenford würde keine weiteren Wundermittel erfinden. Toni war so wütend, dass sie die Journalisten am liebsten rechts und links geohrfeigt und angebrüllt hätte: »He, wacht auf, hier geht es auch um eure Zukunft!«
»Viren sind Teil unseres Lebens, aber wir müssen uns damit nicht tatenlos abfinden«, fuhr Stanley fort, und Toni bewunderte seine Rhetorik. Seine Stimme war dem Ernst der Lage angemessen, aber doch entspannt. Dies war der Tonfall, in dem er jüngeren Kollegen etwas erklärte; er klang nicht wie ein Redner vor Publikum, sondern wie der Teilnehmer an einer Gesprächsrunde: »Die Forschung ist in der Lage, Viren zu besiegen. Vor Aids hieß die große Menschheitsgeißel schwarze Pocken – bis ein Forscher namens Edward Jenner 1796 eine Schutzimpfung dagegen fand. Heute leben wir in einer Welt ohne Pocken. Auf ganz ähnliche Weise ist auch die Kinderlähmung in weiten Gebieten der Welt eliminiert worden, und in der Zukunft wird es uns auch gelingen, die Grippe, Aids und letztlich sogar den Krebs zu besiegen – und diejenigen, die das schaffen, werden Wissenschaftler sein wie wir und in Laboratorien wie den unseren hier in dieser Firma arbeiten.«
Eine Frau hob die Hand und rief: »Woran arbeiten Sie hier – und zwar genau?«
»Würden Sie bitte Ihren Namen und Ihren Auftraggeber nennen?«, sagte Toni.
»Edie McAllan, Wissenschaftskorrespondentin von Scotland on Sunday .«
Cynthia Creighton, die links neben Stanley saß, machte sich eine Notiz.
»Wir haben ein Antivirenmittel entwickelt«, antwortete Stanley. »So etwas ist selten. Es gibt zahllose Antibiotika, die Bakterien bekämpfen, aber nur wenige Medikamente gegen Viren.«
»Was ist denn da der Unterschied?«, fragte ein Mann und fügte hinzu: »Clive Brown, Daily Record .«
Der Daily Record war ein Revolverblatt. Toni war mit der Richtung, in der sich die Pressekonferenz entwickelte, nicht unzufrieden. Sie wollte, dass sich die Medien auf die rein wissenschaftlichen Fragen konzentrierten. Je besser die Reporter begriffen, worum es ging, desto eher konnte man darauf hoffen, dass sie nicht nur reinen Blödsinn schrieben, der der Firma schadete.
»Bakterien«, erklärte Stanley, »sind winzige Lebewesen, die man unter einem herkömmlichen Mikroskop betrachten kann. Jeder von uns ist Wirt von einigen Milliarden dieser Kleinstlebewesen. Viele Bakterien sind nützlich; sie unterstützen zum Beispiel unsere Verdauung oder sorgen für den Abbau toter Hautzellen. Nur wenige sind Krankheitserreger, und davon lassen sich einige mithilfe von Antibiotika bekämpfen. Viren sind kleiner und einfacher konstruiert als Bakterien. Sichtbar sind sie nur unter dem Elektronenmikroskop. Viren können sich nicht fortpflanzen – und deshalb bemächtigen sie sich der biochemischen Ausrüstung von lebenden Zellen und zwingen sie, Kopien des Virus zu produzieren. Bis heute ist kein einziges Virus bekannt, das für den Menschen nützlich wäre, und es gibt auch nur wenige Medikamente, die zur Bekämpfung von Viren eingesetzt werden können. Aus diesem Grunde ist die Einführung eines neuen Antivirenmittels eine so gute Nachricht für die
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