Eisfieber - Roman
– was mich ziemlich überrascht hat, wie ich gestehen muss.«
»Überrascht?«
Toni verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Bella hat drei Kinder und meint, das befreie sie von allen anderen Verpflichtungen. Ich weiß nicht so recht, ob das fair ist, aber ich liebe meine Schwester, und deshalb akzeptiere ich es.«
»Wollen Sie eines Tages auch Kinder haben?«
Toni hielt den Atem an. Das war eine sehr intime Frage. Welche Antwort wird er hören wollen, fragte sie sich. Sie hatte keine Ahnung und sagte die Wahrheit: »Vielleicht. Für meine Schwester war das immer der eine große Wunsch. Die Sehnsucht nach Babys beherrschte ihr Leben. Ich bin da anders. Ich beneide Sie um Ihre Familie – man spürt sofort, dass alle Sie lieben und respektieren und gerne bei Ihnen sind. Aber ich möchte nicht unbedingt alles andere in meinem Leben aufgeben, nur um Mutter werden zu können.«
»Ich glaube nicht, dass man ›alles‹ aufopfern muss«, sagte Stanley.
Du musstest das nicht, dachte Toni, aber wie war das mit Martas Chance in Wimbledon? Aber sie sagte etwas anderes: »Und Sie? Sie könnten doch auch noch mal eine Familie gründen.«
»Ich? O nein«, erwiderte er schnell. »Meine Kinder wären höchst empört darüber.«
Toni fühlte sich ein wenig enttäuscht, dass sich er in diesem Punkt so entschieden gab.
Sie erreichten die Klippe. Zu ihrer Linken senkte sich die Landzunge in einer sanften Kurve zum schneebedeckten Strand ab, während zu ihrer Rechten die Felsen senkrecht ins Meer abfielen. Der Klippenrand war mit einem robusten Holzzaun gesichert, der hoch genug war, um kleinere Kinder abzuhalten, aber doch nicht so hoch, dass er die Sicht versperrte. Stanley und Toni lehnten sich an den Zaun und blickten auf die Wellen, die dreißig Meter tiefer gegen die Felsen schlugen. Die Dünung war lang und tief, sie hob und senkte sich wie der Brustkorb eines schlafenden Riesen. »Was für ein wunderschönes Stückchen Erde«, sagte Toni.
»Noch vor ein paar Stunden dachte ich, dass ich es verlieren würde.«
»Ihr Haus, meinen Sie?«
Stanley nickte. »Ich habe es als Sicherheit für meinen Überziehungskredit eingesetzt. Wenn ich bankrott gehe, kriegt die Bank mein Haus.«
»Aber Ihre Familie …«
»Meinen Kindern und Enkeln würde es das Herz brechen. Und nun, nachdem Marta von mir gegangen ist, sind sie mein Ein und Alles.«
»Und sonst niemand?«
Er zuckte mit den Schultern. »Nein, ehrlich gesagt niemand.«
Sie sah ihn an. Seine Miene war ernst, aber nicht sentimental. Warum erzählt er mir das, dachte sie und glaubte auch gleich, die Antwort zu wissen. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. Es stimmte ja nicht, dass ihm nur noch an seinen Kindern und Enkelkindern gelegen war – er lebte ja auch für seine Arbeit. Aber er wollte ihr zu verstehen geben, wie wichtig für ihn die Einheit der Familie war. Und nachdem sie ihn vorhin in der Küche erlebt hatte, sah sie das auch ein. Aber warum hatte er es ihr ausgerechnet hier und jetzt gesagt? Vielleicht, dachte sie, befürchtet er, dass ich einen falschen Eindruck von ihm bekommen habe.
Sie musste es genau wissen, die ganze Wahrheit. In den vergangenen Stunden war enorm viel geschehen, doch alles war irgendwie zweideutig geblieben. Er hatte sie berührt, sie umarmt und sie gefragt, ob sie Kinder haben wolle. Steckte mehr dahinter – oder nicht? Sie musste es unbedingt wissen.
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie nie etwas tun würden, das das, was ich da unten in der Küche mitbekommen habe, gefährden könnte – Ihre familiäre Gemeinschaft?«
»Ja. Sie alle schöpfen Kraft daraus, ob es ihnen nun bewusst ist oder nicht.«
Toni sah ihm jetzt direkt in die Augen. »Und das ist so wichtig für Sie, dass Sie niemals auf die Idee kommen würden, eine neue Familie zu gründen?«
»Ja.«
Die Botschaft ist eindeutig, dachte Toni. Er mag mich, will aber nicht, dass etwas Ernstes daraus wird. Die Umarmung im Arbeitszimmer war eine impulsive Geste aus einem Triumphgefühl heraus, die Führung durchs Haus ein unbedachter Augenblick der Intimität. Und jetzt rudert er zurück. Am Ende hat sich die Vernunft durchgesetzt.
Toni spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Nein, er durfte nicht sehen, wie sehr sie das bewegte; allein die Vorstellung entsetzte sie. Sie wandte sich ab und sagte: »Dieser Wind …«
Der kleine Tom war ihre Rettung. Er kam durch den Schnee auf sie zu gerannt und rief: »Opa! Opa! Onkel Kit ist da!«
Zusammen mit dem Jungen kehrten
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