Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eisfieber - Roman

Titel: Eisfieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
oberhalb von Wohn- und Arbeitszimmer lag, bestand aus drei kleinen Schlafzimmern und einem Bad. Es war noch zu erkennen, dass dort die Kinder aufgewachsen waren: An einer Wand hing ein Poster von The Clash , in einer Ecke stand ein alter Kricketschläger, dessen Griff sich in seine Bestandteile auflöste, und in einem Regal fand sich eine vollständige Ausgabe der »Narnia«-Bücher von C. S. Lewis.
    Im Anbau befand sich ein repräsentatives Schlafzimmer, an das sich ein Ankleideraum und ein Badezimmer anschlossen. Das große Bett war gemacht, alle Zimmer waren sauber und aufgeräumt. Toni fand es einerseits sehr aufregend, in Stanleys Schlafzimmer zu stehen, andererseits war es irgendwie peinlich. Und auf einem Nachttisch stand – schon wieder – ein Bild von Marta. Das Farbfoto zeigte sie mit ungefähr Mitte fünfzig. Ihr Haar war hexengrau, das Gesicht ausgezehrt. Die Krebserkrankung, an der sie dann gestorben war, hatte bereits Spuren hinterlassen. Das Bild war alles andere als schmeichelhaft. Er muss sie wirklich immer noch sehr lieben, dachte Toni, sonst würde er nicht auch die Erinnerung an diese traurige Zeit so in Ehren halten.
    Sie wusste nicht, was sie als Nächstes zu erwarten hatte. Würde er einen Annäherungsversuch machen, hier, unter dem strengen Blick seiner Frau und mit seinen Kindern unten im Erdgeschoss? Nein, das war wohl kaum sein Stil. Vielleicht dachte er daran, aber er würde es nicht tun, würde nie eine Frau einfach überrumpeln, sondern sie aus Gründen des Anstands und der Etikette auf herkömmliche Weise umwerben. Zum Teufel mit Abendessen und Kino, wollte Toni sagen, pack mich doch einfach, Herrgott noch mal … Aber sie schwieg, und nachdem Stanley ihr noch das mit Marmor geflieste Badezimmer gezeigt hatte, geleitete er sie wieder nach unten.
    Die Hausführung war natürlich ein großes Privileg für sie gewesen und hätte sie eigentlich Stanley noch näher bringen müssen. Doch in Wahrheit fühlte Toni sich ausgeschlossen. Ihr war, als stünde sie draußen vor dem Haus und beobachte durchs Fenster, wie eine harmonische, sich selbst genügende Familie um den Tisch herum saß. Tonis Euphorie verflog.
    Im Flur stupste der große Pudel Stanley an. »Nellie möchte Gassi gehen«, sagte er und spähte durch das kleine Fenster neben der Tür. »Es schneit nicht mehr«, sagte er. »Wollen wir ein bisschen frische Luft schnappen?«
    »Gerne.«
    Toni zog ihren Parka an, und Stanley schlüpfte in einen alten blauen Anorak. Dann traten sie in eine weiße Welt hinaus. Tonis Porsche Boxster stand neben Stanleys Ferrari F 50 und zwei anderen Wagen. Alle waren sie mit Schnee bedeckt und sahen aus wie Eistorten. Der Hund lief auf die Klippen zu, zweifellos eine ihm wohl vertraute Strecke. Stanley und Toni folgten. Toni fand eine Gemeinsamkeit zwischen Nellie und der verstorbenen Marta: das lockige schwarze Haar.
    Ihre Füße schoben den Pulverschnee zur Seite, unter dem hartes Dünengras zum Vorschein kam. Sie überquerten eine große Rasenfläche. Ein paar verkrüppelte Bäume standen schief, fast zu Boden gezwungen vom unermüdlichen Wind. Zwei Jugendliche kamen ihnen aus Richtung Klippe entgegen: der ältere Junge mit dem attraktiven Grinsen und das mürrische Mädchen mit dem gepiercten Nabel. Toni erinnerte sich an die Namen: Craig und Sophie. Als Stanley ihr in der Küche seine Familie vorstellte, hatte sie sich bemüht, sich alle Einzelheiten zu merken. Craig umwarb Sophie heftig, das war unverkennbar, doch Sophie ging mit gesenktem Blick und verschränkten Armen ihres Weges. Toni beneidete die beiden: So einfach war ihr Leben noch, so unkompliziert die Entscheidungen, vor denen sie standen. Sie waren so jung und ungebunden, an der Schwelle zum Erwachsensein, und konnten sich frei ins Abenteuer des Lebens stürzen. Am liebsten hätte sie Sophie zugerufen: Spiel nicht die Unerreichbare! Genieße die Liebe, solange du es kannst; sie ist nicht immer so leicht zu haben.
    »Wie verbringen Sie das Fest?«, wollte Stanley wissen.
    »Ganz anders als Sie, so viel ist sicher. Ich leiste mir eine kleine Wellness-Kur mit Freunden, lauter Singles und kinderlose Paare. Ein Weihnachtsfest für Erwachsene ohne Putenbraten, Plätzchen und Weihnachtsmann – wir lassen uns nur ein bisschen verwöhnen und plaudern miteinander.«
    »Klingt sehr verlockend. Ich dachte, Sie hätten zu Weihnachten Ihre Mutter bei sich.«
    »Hatte ich auch in den vergangenen Jahren. Doch diesmal nimmt meine Schwester Bella sie

Weitere Kostenlose Bücher