Eisige Naehe
noch einmal mit dir schlafen. Gefällt dir das?« »Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde.« Hans Schmidt blieb bis zum Morgen. Um acht sah er erschrocken auf die Uhr, es war schon hell, und er wollte nicht dem Hausmädchen über den Weg laufen. »Ich muss mich sputen«, sagte er und gab Sarah einen Kuss. »Es war eine wunderschöne Nacht. Aber ich habe heute noch sehr viel vor. Sehr, sehr viel. Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Es war die schönste Nacht seit einer halben Ewigkeit. Komm, noch eine Umarmung, dann darfst du gehen«, flüsterte sie in sein Ohr.
Um Viertel nach acht verließ er unbemerkt das Grundstück, nur zwei Autos parkten auf der gegenüberliegenden Straßenseite, doch beide waren leer, die Scheiben leicht beschlagen. Zu Hause duschte er, zog sich um und rief Maria an. Er hatte kein schlechtes Gewissen und brauchte sich deshalb auch nicht zu verstellen, als er ihr versicherte, wie sehr er sie liebte.
Er frühstückte zwei Scheiben Toast mit Putenschinken, dazu trank er eine Tasse Pfefferminztee. Er machte sich einige Notizen, ging in die Kammer hinter der Bücherwand, entnahm zwei Utensilien und blieb noch eine Stunde im Wohnzimmer sitzen, um alles mehrmals durchzuspielen. Als er sicher war, dass sein Plan keinen Fehler hatte, stand er auf, um zu gehen. Er war bereits an der Tür, als das Telefon klingelte. »Ja?«
»Ich bin's, Sarah. Ich wollte dir nur viel Glück wünschen, du wirst es brauchen. Ich werde den ganzen Tag Angst haben, denn du hast mir nicht gesagt, was du heute vorhast. Bitte sag mir, dass ich keine Angst zu haben brauche.«
»Du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst sehen, bald herrscht Ruhe, denn ich werde dafür sorgen.«
»Ich weiß, ich verhalte mich wie ein kleines Kind, aber ich kann nichts dagegen tun. Darf ich dich noch etwas fragen?«
»Nur zu.«
»Hast du jemals bereut, so viele Menschen getötet zu haben?«
»Nein, denn sie waren keinen Deut besser als ich. Eine andere Antwort kann ich dir nicht geben.« »Du bist kein schlechter Mensch, ein schlechter Mensch kann nicht so lieben wie du. Sei vorsichtig und pass auf dich auf. Ich werde in Gedanken immer bei dir sein. Immer, hörst du?«
»Danke. Lenk dich ab, sitz nicht einfach rum und grüble. Das macht dich nur noch nervöser. Die Sonne scheint. Setz dich ins Auto und fahr irgendwohin. Tu etwas. Heute Abend telefonieren wir, oder ich komm bei dir vorbei. Abgemacht?«
»Mal sehen, ob ich mich aufraffen kann. Mach's gut und denk daran, die Gefahr kann hinter jeder Ecke lauern.«
»Damit kenne ich mich aus. Ciao, meine Liebe, und mach dir einen schönen Tag.«
»Tschüs.«
Hans Schmidt überprüfte ein letztes Mal den Inhalt seiner Jackentaschen, bevor er nach draußen ging, die Tür abschloss und mit dem Jaguar vom Grundstück fuhr. Sein Ziel war die Innenstadt. Dort angelangt, überlegte er es sich anders, verwarf seinen Plan und fuhr zurück zu seinem Haus. Heute war nicht der Tag, heute würde er es nicht tun. Er strich den Namen von seiner Liste und beschloss, nur noch einen zu beseitigen. Albertz.
DONNERSTAG
DONNERSTAG, 7.10 UHR
Henning war auf der Couch eingeschlafen und wurde durch ein sanftes Rütteln an der Schulter geweckt. »Was tust du hier im Wohnzimmer?«, fragte Lisa ihn verwundert. »Hast du hier übernachtet?« Henning öffnete langsam die Augen, setzte sich vorsichtig auf und nahm den Kopf zwischen beide Hände. Er fühlte sich wie gerädert. Sein Mund und seine Kehle waren trocken, und er hatte leichte Magenschmerzen, wie schon seit Monaten, ohne dass Santos etwas davon wusste. Erst wenn er etwas gegessen hatte, klangen die Schmerzen ab, bis der nächste Hunger kam. Er hätte längst zum Arzt gehen müssen, doch er scheute diesen Gang, die Untersuchung, und er hatte Angst vor dem Ergebnis. Dabei, so hatte er es im Internet recherchiert, handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen nervösen und gereizten Magen, im schlimmsten Fall um ein Magengeschwür. Die letzten Jahre waren ihm im wahrsten Sinn des Wortes auf den Magen geschlagen, der Absturz in das soziale Niemandsland, die Abkapselung von der Außenwelt, in die er erst durch Lisa wieder geführt wurde. Die Selbstvorwürfe, einen Unschuldigen in den Selbstmord getrieben zu haben, während der wahre Täter noch frei herumlief, die anschließende Selbstkasteiung und schließlich die Scheidung von einer Frau, die ihn bis vor kurzem ausgenommen hatte wie eine Weihnachtsgans. Nun, da die Kinder fast
Weitere Kostenlose Bücher