Eisige Naehe
meinst du jetzt aber nicht ernst, Lisa, oder? Die Mechanismen sind doch überall die gleichen, das Verschweigen, das Eliminieren, das Manipulieren ...«
»Schon gut, schon gut, ich habe verstanden.« Jürgens holte tief Luft. »Mensch, ich bin doch auch sauer wegen diesem Mist, aber ich bin eben nur ein kleiner Rechtsmediziner, und ihr seid nur kleine Bullen mit einem mickrigen Gehalt. Es gibt kein Mittel gegen politische Entscheidungen oder Wirtschaftsbosse. Nicht eines ... So wie es kein Mittel gegen Aids gibt beziehungsweise niemals offiziell geben wird, das versichere ich euch, so wahr ich hier stehe. Ich war mir gestern der Tragweite dessen, was ich euch erzählt habe, nicht bewusst, und das tut mir leid. Und ich will nicht, dass ihr Schwierigkeiten kriegt. So, das war's, lasst uns ein andermal weiter darüber reden, wenn die Emotionen runtergefahren sind. Ciao und viel Erfolg.«
»Viel Erfolg bei was? Bei der Suche nach einem Täter, der am Ende gar nicht der Täter ist? Ist das die Wahrheit? Wenn es stimmt, dass die UWP oder derjenige, der die DNA der unbekannten Frau an Tatorten hinterlässt, noch im Spiel ist, werden wir aller Voraussicht nach einen Unschuldigen verhaften und hinter Gitter bringen. Eine feine Wahrheit!«
»Ja, eine feine Wahrheit, da gebe ich dir recht. Aber schlag du doch vor, was wir tun können, Herr Hauptkommissar Oberschlau.« Nach einer längeren Pause fügte er hinzu: »Siehst du, du hast selbst keine Antwort darauf. Du hast keine Antwort, ich habe keine Antwort. Ich würde gerne etwas ändern, aber ich kann es nicht. Und ihr braucht mir kein schlechtes Gewissen einzureden, das habe ich nämlich schon. So, jetzt ist wirklich Schluss.« »Aber warum hast du uns belogen?« »Du meinst, dass das Ganze ein Scherz gewesen sein könnte?« Jürgens zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, um mich und euch zu schützen? Seht's mal von der Warte.«
Er ging durch die Tür und ließ eine ratlose Lisa Santos und einen noch ratloseren Sören Henning zurück. Henning legte einen Arm um sie und sagte: »Gehen wir, ich muss hier raus, ich brauche frische Luft.«
MONTAG, 13.10 UHR
Auf der Fahrt nach Düsternbrook sagte Santos nach längerem Schweigen: »Wir lassen ab sofort die Finger davon. Wir verrennen uns doch nur. Klaus hat es auf den Punkt gebracht: Wir haben erstens keine Beweise und zweitens keine Chance, selbst wenn wir Beweise für Manipulation hätten. Mein Vater sagt immer, verschwende nicht deine Energie an Dinge, die du nicht erreichen oder gewinnen kannst. Er hat recht.« »Na und? Ich will die Wahrheit wissen.« »Ich auch, aber nicht um jeden Preis. Dieser Preis ist mir definitiv zu hoch, ich häng nämlich am Leben, und ich habe das dumpfe Gefühl, dass es nicht nur um unseren Job, sondern um mehr geht.« »Angst?« »Noch nicht.«
»Gut. Ist dir aufgefallen, wie Günter geschwitzt hat? Der hat panische Angst. Warum schiebt er mir einen Zettel zu, auf dem steht, dass er uns an einem neutralen Ort treffen will? Er hat das heimlich gemacht, als würde er beobachtet. Und warum erfindet Klaus so eine abenteuerliche Geschichte? Warum ...«
»Hör auf! Schluss jetzt!«, herrschte Santos ihn an und warf ihm einen glühenden Blick zu. Selbst abgebrühte Gauner bekamen weiche Knie und schwitzige Hände, wenn Santos sie mit diesem furchteinflößenden Blick ansah, den sie in ihrer Karate- und Nahkampfausbildung gelernt hatte. »Ich habe keine Lust mehr, einem Phantom hinterherzujagen. Wir konzentrieren uns ab sofort nur noch auf unsere Ermittlungen und nichts weiter. Ich bin raus aus der Nummer ...« »Aber ...«
»Kein Aber! Mag sein, dass man der Öffentlichkeit und den Medien falsche Informationen zukommen ließ, es kann aber auch sein, dass alles korrekt ist und der Fehler irgendwo anders liegt. Wir wissen es nicht und werden es vermutlich nie erfahren. Aber das ist nicht unser Job. Unser Job ist es, einen perversen Mörder zu fangen. Für DNA sind wir nicht zuständig. Jetzt will ich kein Wort mehr über diese Sache hören, sonst kannst du dir einen anderen Partner suchen.«
»Nur noch eins, dann bin ich still. Ich will auch gar keine Antwort von dir, sondern nur, dass du darüber nachdenkst. Okay?« »Wenn's sein muss.«
»Warum ist Volker so nervös geworden, als wir ihm davon erzählt haben? Warum war Rüter in der KTU und bei Jürgens? Das sind nur Fragen, nicht mehr und nicht weniger.«
Santos sah aus dem Fenster, hinter ihrer Stirn arbeitete es. Gedanken, die sie
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