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Eisige Naehe

Eisige Naehe

Titel: Eisige Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Henning nicht mitteilen wollte und durfte. Gedanken, die sie vergeblich zu verbannen versuchte. Sie wusste, dass Henning recht hatte, und sie wusste auch, dass es schon gefährlich sein konnte, nur darüber nachzudenken. Sie brachte sich ein spanisches Gedicht in Erinnerung, das ihr Vater ihr beigebracht hatte, als sie noch ganz klein gewesen war. Es nützte nichts. Dann ein spanisches Volkslied, das ihre Großmutter oft gesungen hatte, wenn sie in Spanien zu Besuch waren. Doch die Gedanken blieben. Gedanken, Zweifel und eine Menge Frustration. Sie hätte so gerne zu Henning gesagt: »Komm, wir gehen die Sache an.« Aber sie traute sich nicht, denn sie wusste, Henning konnte wie ein Pitbull sein, der nicht mehr loslässt, wenn er sich einmal in etwas verbissen hat.
    Noch bevor sie in Bruhns' Straße einbogen, sahen sie die Wagen der Reporter. Heerscharen von ihnen hatten sich auf den Weg gemacht, um vielleicht das Bild zu schießen, das eine trauernde Victoria Bruhns zeigte. Gramgebeugt, das Gesicht tränenüberströmt, die Augen gerötet. Henning stellte sich die weiteren Schlagzeilen vor, den Tage oder gar Wochen andauernden Medienhype, Serien, die über Bruhns' Leben und Werk berichten würden. Vielleicht kämen nach und nach Details über sein Leben ans Tageslicht, die keiner wissen wollte, aber Journalisten waren dazu da, die Fassade herunterzureißen, und sie würden es auch diesmal tun, denn Bruhns' schrilles und schillerndes Leben bot eine Fülle Stoff, doch zu seinen Lebzeiten hatte man es in den letzten drei, vier Jahren nicht gewagt, seine düsteren Seiten zu zeigen, dazu hatte er schon zu viele Prozesse geführt und gewonnen. Sie langten vor dem Haus an, Henning stoppte, zog den Schlüssel ab, wartete ein paar Sekunden und legte eine Hand auf Lisas Arm, ohne die Reporter, die mit Mikrofonen und Kameras bewaffnet vor dem Grundstück ausharrten, aus den Augen zu lassen. »Es ist okay, ich will damit nichts mehr zu tun haben.« »Lass uns reingehen«, war alles, was Santos antwortete. »Wenn uns diese Pressefuzzis überhaupt durchlassen.«
    »Sie werden uns durchlassen, dafür sorge ich schon.« Er stieg aus und bahnte sich einen Weg durch die Menge, indem er die Ellbogen benutzte und einige der Journalisten brüsk anfuhr: »Macht schon Platz, ihr Aasgeier, es gibt hier nichts für euch zu holen. Verzieht euch, aber ein bisschen dalli, sonst lass ich das Gelände hier räumen!« »Sie können uns nicht verbieten, hier zu sein«, sagte ein junger Journalist, den Henning nie zuvor gesehen hatte, mit herausforderndem Blick.
    Henning ging zu ihm und zischte: »Ich kann es verbieten, verlass dich drauf. Das ist eine Wohngegend, und ihr blockiert mit euren Karren die Straße. Ich kann schon mal den Abschleppdienst rufen, die kommen mit fünf oder sechs Wagen gleichzeitig, und ihr glaubt gar nicht, wie schnell hier alles geräumt ist. Na, was ist?« »Das ist ein freies Land, Arschloch«, entgegnete der Journalist, der sich erste Lorbeeren mit einer großen Story verdienen wollte, dem aber jegliches diplomatische Geschick abging.
    »Bitte? Wie war das eben? Willst du eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung? Kannst du ganz schnell haben, es sei denn, du bewegst deinen Arsch weg von hier.« »Ist ja gut, ist ja gut, war nicht so gemeint. Ich entschuldige mich.«
    »Angenommen. Und trotzdem Abmarsch. Aus dem Weg!«
    Vor dem großen Tor standen vier uniformierte Beamte, Henning hielt seinen Ausweis hoch und fragte: »Wie lange geht das schon so?«
    »Wir sind seit sechs hier. Die sind wirklich wie die Geier.«
    »Ist Frau Bruhns zu Hause?« »Ja.«
    Henning klingelte und stellte sich so, dass sein Gesicht deutlich auf dem Monitor im Haus zu erkennen war, das Tor öffnete sich, ohne dass Victoria Bruhns sich gemeldet hätte.
    Sie gingen zum Haus, die Hausherrin erwartete sie in der dunklen Eingangshalle, sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
    »Hallo«, begrüßte sie die Beamten mit einem Lächeln, das wie eingefroren schien, und schloss die Tür hinter ihnen. Sie begaben sich in den Wohnbereich. »Hallo. Wie geht's Ihnen heute?« Sie zog die Stirn in Falten und zuckte mit den Achseln. »Haben Sie nicht geschlafen?«, fragte Santos mitfühlend.
    »Daran war überhaupt nicht zu denken. Seit gestern Abend belagern die mich, als wäre ich Britney Spears oder Paris Hilton. Wenn sie mich doch nur zufriedenlassen würden.«
    »Können Sie nicht wegfahren? Irgendwohin, wo die Sie nicht finden?«
    Victoria Bruhns

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