Eisige Naehe
sagen, worum es sich handelt. Wir möchten das wissen, auch wenn es Ihnen unangenehm ist.« »Warum? Ist das so wichtig?«
»Alles kann wichtig sein. Sie können uns vertrauen. Was wir hier besprechen, bleibt unter uns, es sei denn, es ist für die weiteren Ermittlungen relevant.« Victoria Bruhns faltete die Hände und presste die Lippen aufeinander, bis sie schließlich sagte: »Also gut. Peter hat vor einem Jahr ein Talent entdeckt, wie er sagte, ein Mädchen, das er ganz groß rausbringen wollte. Sie sollte eine neue Mariah Carey oder Whitney Houston werden. Er hatte mir schon mehrfach von ihr vorgeschwärmt, bevor er sie dann eines Tages mit hierherbrachte. Es war schon ziemlich spät, so gegen neunzehn Uhr, und er war eine ganze Weile mit ihr unten im Studio, während ich im Wohnzimmer war ... Sie müssen wissen, im Untergeschoss hat er ein kleines Studio, das er vor allem zum Komponieren benutzt hat. Es ist komplett ausgestattet, er hat hier auch schon einige Demo-Tapes gemacht und mit etlichen seiner Künstler geprobt. Ich kann Ihnen das Studio nachher gerne zeigen ... Es war einen Tag vor Paulines Geburt, das werde ich nie vergessen, als dieses Mädchen die Treppe hochkam. Sie sah aus, als hätte sie geweint, und ich bin ziemlich sicher, dass sie Schmerzen hatte, auch wenn sie das zu unterdrücken schien. Peter kam ihr nach und blaffte mich an, was ich so glotzen würde, ich solle gefälligst ins Wohnzimmer verschwinden. Ich bin aber geblieben und fragte ihn, was mit dem Mädchen sei, bekam jedoch zunächst keine Antwort, und als ich nachhakte, gab er mir deutlich zu verstehen, dass mich das nichts anginge und ich endlich verschwinden solle, wobei er leicht die Hand hob. Nele ginge es gut, sie sei nur ein wenig erschöpft von den Proben, und er würde sie gleich nach Hause fahren. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich noch im Wohnbereich sein würde, weil ich in den Tagen vor Paulines Geburt normalerweise früh zu Bett gegangen bin.«
»Wie, haben Sie gesagt, heißt das Mädchen?«, fragte Santos.
»Nele.« »Nachname?«
»Keine Ahnung. Wollen Sie gar nicht wissen, wie alt sie war?«
»Wie alt?«, fragte Santos mit zu Schlitzen verengten Augen. Die Wut, die sie schon den ganzen Morgen über in sich hatte, wurde zu heiligem Zorn. »Elf, höchstens zwölf. Nele war noch ein Kind, als Peter sich an ihr vergangen hat. Es war das grausamste Erlebnis, das ich je hatte, das können Sie mir glauben.« »Woher wissen Sie, dass Ihr Mann sich an dieser Nele vergangen hat?«
»Ich habe es gespürt. Ich bin eine Frau und ... Das Mädchen war total verängstigt, ihr Blick war traurig und unendlich einsam. Es kann natürlich sein, dass ich mich getäuscht habe, aber die Situation war in meinen Augen eindeutig.«
»Hat Nele etwas gesagt?«
»Nein, keinen Ton. Ich hatte allerdings auch keine Gelegenheit, sie anzusprechen, weil Peter darauf gedrängt hat, sie nach Hause zu fahren. Im Hinausgehen drehte sie sich noch einmal um und sah mich traurig und hilfesuchend an.«
»Können Sie das Mädchen beschreiben?« »Etwa eins vierzig groß, blond, große blaue Augen und eine noch sehr mädchenhafte Figur, da war noch kein Busen, auch die Rundungen fehlten.«
Santos ließ sich nicht anmerken, was sie dachte, denn sie erinnerte sich an einen Fall, den sie zusammen mit einigen Kollegen bis vor zwei Monaten bearbeitet hatte. »Wenn Ihr Mann dieses Mädchen vergewaltigt hat, warum haben Sie das nicht der Polizei gemeldet?« »Haben Sie nicht zugehört? Ich kannte das Mädchen nicht, ich wusste nur ihren Vornamen, ich wusste in etwa, wie alt sie war, mehr aber auch nicht. Was hätte die Polizei denn tun können? Ganz ehrlich, gegen einen Peter Bruhns unternimmt die Polizei doch nichts. Außerdem hat er mir, nachdem er etwa zwei Stunden später zurückgekommen war, gedroht, mich umzubringen, sollte ich jemals diesen kleinen Vorfall erwähnen. Kleiner Vorfall!« Sie schwieg eine Weile. »Und dann sagte er: >Nele hat doch kein besonderes Talents und grinste. Noch in derselben Nacht setzten bei mir die Wehen ein, und am Morgen wurde Pauline geboren. Peter war natürlich mit in der Klinik, denn die ganze Welt sollte sehen, was für ein liebevoller und fürsorglicher Ehemann und Vater er war. Sobald wir zu Hause waren, verschwand er, manchmal tagelang, ohne dass ich ein Wort von ihm gehört habe.«
Victoria Bruhns machte eine Pause und trank einen Schluck von ihrem Cranberry-Saft.
»Aber wenn Sie ihn nicht damit unter
Weitere Kostenlose Bücher