Eisige Naehe
Verliererin gewesen. Bruhns hätte doch sofort gewusst, wer der anonyme Tippgeber ist. Dann hätte es für seine Frau richtig schlecht ausgesehen. Sie musste an sich und das Baby denken.«
»Okay, spinnen wir den Faden weiter. Sie sagt, sie hat am Samstagabend bis gegen ein Uhr mit ihrer Schwester telefoniert. Ihre Schwester ist ihre größte Verbündete. Was, wenn die beiden unter einer Decke stecken und einen Plan ausgeheckt ...«
»Ach nee, lass gut sein, das passt nicht. Was hat der Anrufer gestern gesagt, wir sollen uns auf das Umfeld von Bruhns konzentrieren?«
»Hm. Aber die Bruhns und ihre Schwester gehören zum Umfeld.«
»Sie hat mit dem Mord nichts zu tun«, entgegnete Santos stur.
»Dann nehmen wir uns doch mal diesen Toningenieur vor. Oder hast du einen besseren Vorschlag?« »Nein.«
Sie fuhren nach Altenholz zum Studio und standen vor verschlossener Tür. Ein unauffälliger Bau, dem man von außen keine Beachtung schenken würde. Dabei waren in diesen vier Wänden einige Welthits entstanden, fast allesamt aus der Feder von Bruhns, der damit das große Geld gemacht hatte.
Henning rief Harms an und bat ihn, die Privatadresse und Telefonnummer von Weidrich herauszufinden. Nach nur drei Minuten hatten sie die Information. »Er wohnt gleich um die Ecke«, sagte Henning. »Wenn du mir bitte folgen würdest.«
MONTAG, 14.45 UHR
Weidrich wohnte in einem kleinen, unscheinbaren Einfamilienhaus. Erst nach mehrmaligem Klingeln wurde geöffnet. Vor ihnen stand ein großer, bulliger Typ, dessen Alter schwer zu schätzen war, das Gesicht war von tiefen Kerben durchzogen, er hatte dunkle, sich über die Jahre eingegrabene Augenringe, sein Atem roch nach Schnaps. Er sah unausgeschlafen aus, das schwarze Haar war fettig, ein Vier-, Fünf- oder Sechstagebart ließ ihn noch düsterer erscheinen. Er trug eine dunkelblaue, von Flecken übersäte Sporthose und ein grün-schwarz kariertes Holzfällerhemd, das offen stand, und darunter ein ehemals weißes Unterhemd, das ebenfalls zahlreiche Flecken aufwies. Die Augen waren glasig und rot unterlaufen. Das Bild, das sich den Kommissaren bot, war das eines offensichtlich schweren Alkoholikers.
»Herr Weidrich?«, fragte Henning und hielt seinen Ausweis hoch. »Mein Name ist Henning, und das ist meine Kollegin Frau Santos. Wir sind von der Kripo Kiel.« »Ja, was gibt's?« Seine Stimme war tief und rauh, nach seiner Frage hustete er.
»Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten, am besten drin.«
»Warum? Habe ich was verbockt?«
»Es geht um den Tod von Ihrem Boss, Herrn Bruhns.«
»Was? Bruhns ist abgenibbelt? Wann?«
»Können wir bitte im Haus weiterreden?«
»Immer rein in die gute Stube, ist nur nicht aufgeräumt,
kam in der letzten Zeit nicht dazu.« Trotz seines sicher nicht niedrigen Promillepegels kamen die Worte klar und deutlich über seine Lippen.
Es roch nach abgestandenem Rauch, seit Wochen schien hier niemand mehr Hand angelegt zu haben, um wenigstens ein bisschen Ordnung zu schaffen, überall Flaschen, Bier, Wein, Schnaps, überquellende Aschenbecher, Asche auf dem Tisch, den Sitzmöbeln, dem Boden, die Küchentür stand offen, benutzte Teller mit Essensresten stapelten sich in der Spüle und auf der Ablage, Müllbeutel verbreiteten einen entsetzlichen Gestank. Santos fragte sich, wie ein Mensch hier leben konnte, doch die Antwort gab Weidrich selbst, er war Alkoholiker und befand sich, wie so viele seiner Suchtgenossen, in einem lethargischen Zustand am Rand der Apathie, einer Leck-mich-am-Arsch-Einstellung, die verhinderte, dass er selbst die geringsten Tätigkeiten in der Wohnung erledigte.
»Setzen Sie sich, wenn Sie Platz finden«, brummte er und wischte ein paar Klamotten vom Sofa, während er sich in einen zerschlissenen Sessel fallen ließ. Auch im Wohnzimmer Staub und Dreck, wohin man sah. Der Fernseher lief, Weidrich steckte sich eine Zigarette an (der Zeige-und Mittelfinger der rechten Hand waren vom Nikotin dunkelgelb) und musterte misstrauisch die Kommissare, die sich zögerlich auf die Couch setzten. »Sie sind Toningenieur bei Bruhns, wie uns gesagt wurde ...«
»Ha, ich weiß zwar nicht, von wem Sie das haben, aber das ist eine Uraltinfo. Ich bin schon seit über einem Jahr raus.«
»Ach ja? Und wieso, wenn man fragen darf?« »Ph, das Arschloch Bruhns hat mal wieder 'nen Anfall gekriegt und mich rausgeschmissen. Ich hätte was nicht richtig abgemischt, und zack, war ich draußen. Über zwanzig Jahre habe ich mir den Arsch
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