Eisige Schatten
sie gewarnt, als sie zu mir kam und mir erzählte, dass jemand Becky gefolgt sei. Und sie hat bestimmt geglaubt, vorsichtig zu sein. Aber selbst wenn in der Stadt Ausgangssperre geherrscht hätte, wäre sie sicherlich ohne zu zögern an einem friedlichen Sonntagnachmittag in den Laden gegangen, um Büroarbeiten zu erledigen.«
»Ich muss sie sehen.«
Der Sheriff griff nach Bens Arm. »Nein. Es gibt für dich keinen Grund, da reinzugehen, Ben. Mein Team wird jede Minute hier sein, und diesmal werde ich dafür sorgen, dass sie einen unberührten Tatort vorfinden.« Er hielt inne, fügte dann mit fester Stimme hinzu: »Du musst sie nicht sehen. Du willst sie nicht sehen.«
»Wie hat er sie umgebracht?«
»Mit dem Messer, wie die anderen. Aber entweder hat er es anderswo gemacht, oder sie hat ihn nicht so derartig verärgert, wie Ivy das getan hatte. Praktisch kein Blut am Tatort. Nur eine Wunde, soviel ich erkennen konnte. Linke Brust.«
Ben drehte sich halb zum Jeep um, wo im Innenlicht Cassies zusammengesunkene Gestalt und das bleiche Gesicht zu sehen waren. Auf der Fahrt hatte sie nicht viel gesprochen. Er wandte sich wieder dem Sheriff zu. »Cassie sagte, Jill sei mit dem Rücken an etwas mit einer scharfen Kante gefesselt worden.«
»Ja, sie sitzt aufrecht an einer Ecke ihres Schreibtisches. Vermutlich hat er ihr zu irgendeinem Zeitpunkt die Hände hinter dem Rücken gefesselt, hat sie aber ungefesselt und mit den Händen im Schoß zurückgelassen, wie die anderen.«
»Die Münze?«
»Ein Quarter.« Der Sheriff hielt inne. »Was dagegen, wenn ich jetzt ein paar Fragen stelle?«
Ben wusste, an wen die Fragen gerichtet sein würden, und das war nicht er. Doch bevor er antworten konnte, stieg Cassie aus dem Jeep und kam auf sie zu.
Ruhig sagte sie: »Fragen Sie nur, Sheriff.«
»Wo waren Sie heute?«
»Zu Hause. Allein, bis Ben vor einer Weile kam.«
»Das heißt also, Sie haben kein Alibi.« Die Stimme des Sheriffs klang mechanisch.
»Zum Teufel noch mal, Matt«, blaffte Ben, »du wirst doch wohl nicht glauben, dass Cassie drei Frauen ermordet hat!«
Der Sheriff warf ihm einen kurzen Blick zu, lenkte seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Cassie. »Und wo ist Ihr Auto, Miss Neill?«
Sachlich antwortete sie: »Demnach haben Sie mich beobachten lassen. Das dachte ich mir schon. Mein Auto ist hier in der Stadt, Sheriff, wie Sie offensichtlich wissen. Ich habe es gestern Morgen abschleppen lassen, als ich merkte, dass es nicht ansprang. Es ist in der Werkstatt, einen Block von der Main Street entfernt.«
»Und einen Leihwagen haben Sie abgelehnt.«
»Ich benötigte keinen. In den paar Tagen, die das Auto in der Werkstatt bleiben musste, wollte oder brauchte ich nirgends hinzufahren.«
Für ein Alibi war das nicht schlecht.
Ben sagte: »So weit hätte sie nicht laufen können, Matt, nicht, wenn … nicht, wenn Jill in den letzten paar Stunden getötet wurde.«
»Ja, ich weiß. Außerdem …« Matt schaute zu Ben, als er sich unterbrach, und es war Cassie, die den Satz beendete.
»… ist es unwahrscheinlich, dass ich die körperliche Kraft besitze, jemandem ein Schlachtermesser bis zum Heft in die Brust zu stoßen«, sagte sie, immer noch sachlich.
»Nein«, sagte der Sheriff. »Ist es nicht. Möglich, aber wenn ich die Fakten zusammenzähle, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Sie unser Mörder sind.«
Ben wurde schlecht. »Das Messer. Woher wissen Sie …«
»Es steckt immer noch in ihr, Ben. Es sieht wie das fehlende Messer aus Ivys Küche aus.«
»Großer Gott.«
Der Sheriff wandte den Blick nicht von Cassie ab. »Sie haben also gesehen, wie Jill getötet wurde, aber der Mord an Ivy Jameson war für Sie eine vollkommene Überraschung.«
»Ich habe Mrs Jameson nie kennengelernt, doch Jill bin ich einmal begegnet, ganz kurz. Das reichte offenbar für eine Verbindung, denn ich zapfte ihren Geist an, nicht seinen.«
»Warum nicht seinen? Er hat heute zwei Mal gemordet, hat bei Ivy ein blutiges Chaos hinterlassen. Warum haben Sie nicht wahrgenommen, dass er das tat?«
Cassie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Was auch immer der Sheriff noch hatte sagen wollen, wurde durch die Ankunft eines Mannschaftswagens und eines schwarzen Vans mit rotierendem Blaulicht unterbrochen.
»Bring sie nach Hause, Ben, während meine Leute sich den Tatort vornehmen. Morgen ist noch früh genug, um herauszufinden, ob sie uns irgendwas Hilfreiches sagen kann.«
»Sie« ging um den Jeep herum und stieg
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