Eisige Umarmung (German Edition)
Kirche hätte es ebenso gut Mitternacht sein können.
„Was meinen Sie, warum manche Menschen das Bedürfnis haben, ihre Toten auf diese Weise zu bestatten?“ Die Stimme kam aus einer dunklen Ecke. „Die Gestaltwandler lassen ihre Toten einfach zu Staub werden.“
Judd hatte weder die Absicht noch die Zeit für philosophische Diskussionen. Er wollte wieder in die Höhle zurückkehren und nachsehen, wie es Brenna ging. Das Gespräch mit Faith schien ihr geholfen zu haben, aber wenn sie wieder diese Träume gehabt hatte, konnte es ihr schlecht gehen. Und er war der Einzige, dem sie genügend traute, um bei ihm … Trost zu suchen.
„Gibt es noch weitere Laboratorien?“, fragte er ohne Umschweife. Ihm war bewusst, dass sein Bedürfnis, Brenna zu sehen, ein kleiner Riss im Programm war, der erste Schritt zur Versuchung. Aber er würde sie nicht anfassen, redete er sich ein, er wollte nur nachschauen, ob alles in Ordnung war.
„Natürlich gibt es noch mehr, aber heute Morgen haben Sie das wichtigste ausgeschaltet.“
„Sind Sie sicher? Da Ming seine Finger im Spiel hat, sollten wir uns vielleicht auch in Europa umschauen.“
„Nein, der Rat hätte das lieber gesehen, aber die führende Wissenschaftlerin Ashaya Aleine weigert sich hartnäckig umzuziehen.“
„Muss eine große Nummer sein, sonst hätten sie sich über ihren Widerstand hinweggesetzt.“ Niemand konnte sich gegen den Rat stellen, wenn er nicht absolut unanfechtbare Gründe oder ein Ass im Ärmel hatte.
„Ich kümmere mich darum – sie haben eine Nachrichtensperre verhängt. Alles Material über Aleine ist absolut vertraulich.“
„Wissen Sie, welcher Kategorie sie angehört?“
„Sie ist eine M-Mediale, neun Komma neun auf der Skala.“
„Äußerst selten.“ Meist überschritten Mediale mit solch starken Fähigkeiten die Grenze zum Kardinalmedialen. Judd hatte seine neun Komma neun in Telekinese allerdings immer für einen Vorteil gehalten. Da seine telepathischen Fähigkeiten zudem bei neun Komma vier lagen, war er gefährlicher als viele Kardinalmediale, ohne dass nachtschwarze Kardinalenaugen etwas über seine Kräfte verrieten. Er konnte sogar richtig harmlos wirken, wenn er sich viel Mühe gab. „Wie groß ist denn der Schaden, den wir angerichtet haben?“ Es war zwar erst vor wenigen Stunden geschehen, aber Neuigkeiten verbreiteten sich sehr schnell im Medialnet.
„Unbestätigten Berichten zufolge ist der Prototyp zerstört worden. Wenn das stimmt, brauchen sie mindestens sechs Monate zur Wiederherstellung. Aber wenn es uns gelingt, Aleine auszuschalten, wirft sie das um Jahre zurück. Sie ist der Kopf des ganzen Unternehmens.“
Judd hatte schon vorher getötet. Effizient und präzise. Kein Anschlag konnte je als Mord klassifiziert oder zur Pfeilgarde zurückverfolgt werden. „Ich brauche mehr Informationen, bevor ich eine solche Entscheidung treffen kann.“ Er würde sich nie wieder auf jemand anderen verlassen, wenn es um diesen Teil seiner Fähigkeiten ging.
„Es wäre sowieso noch viel zu früh. Vielleicht brauchen wir noch Informationen von ihr.“ Das Gespenst schien zu zögern.
Judd hatte das dringende Bedürfnis, zur Höhle zurückzukehren, und wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. „Was noch?“
„Gerüchteweise steht Aleine nicht vollständig hinter Programm I.“
Es war trotzdem kein Widerspruch, dass sie die führende Wissenschaftlerin des Projekts war – der Rat hatte Mittel und Wege, sich Kooperationen zu sichern. „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, sie für uns zu gewinnen?“
„Fast null. Seit sie siebzehn ist, arbeitet sie für den Rat. Sie hat keine Familienangehörigen außer einem vierzehn Jahre alten Sohn. Er lebt getrennt von ihr in einer Wohnung in San Diego.“
„Bei seinem Vater?“ Die Kinder der Medialen wurden im Rahmen von Fertilisationskontrakten gezeugt, die auch das Sorgerecht regelten.
„Nein. Das Kind steht unter dem Schutz des Rats. Das Gebäude gehört dem Rika-Smythe-Unternehmen.“
„Wie passend.“
„Das habe ich auch gedacht. Die Bestätigung ist leider immer noch nicht da.“
Judd ging zum Ausgang. „Schicken Sie mir die Informationen, sobald Sie etwas haben.“
Es war ziemlich ruhig und leer im Tunnelsystem der SnowDancer-Wölfe, aber Judd lief fast sofort in Indigo hinein. Sie sah ihn misstrauisch an.
„Wo waren Sie in der Nacht, als Tim starb?“
Die Frage traf ihn unerwartet. Die Umstände hatten ihn dazu verleitet anzunehmen, die
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