Eisige Umarmung (German Edition)
„Ich muss meine geistigen Muskeln trainieren, damit sie nicht außer Kontrolle geraten und zupacken.“
„Wie unsere Tiere manchmal.“
„Ja.“ Er hatte gesehen, wie Wölfe wild wurden, und wusste, welchen Schaden sie anrichten konnten. „Nur noch schlimmer.“
„Das kaufe ich Ihnen nicht ab.“ Hawke lehnte sich an seinen schwarzen Schreibtisch, seine blassen Augen waren mehr Wolf als Mensch. „Ich kann beurteilen, wie gut sich jemand beherrschen kann, und Sie haben sich vollkommen im Griff.“
Es gab keine andere Möglichkeit für jemanden seiner Kategorie. Doch das brauchte Hawke nicht zu wissen. „Wie Sie vielleicht schon vermutet haben, haben mir damals meine kämpferischen Fähigkeiten diese Stellung verschafft. Diese aggressiven Energien müssen regelmäßig benutzt werden, damit sie nicht außer Kontrolle geraten.“
„Wie wollen Sie das anstellen?“ Kein offenes Misstrauen, aber es ging in diese Richtung.
Judd überlegte kurz, ob er darauf reagieren sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Für die Wölfe war er eben ein Feind und kein Kampfgefährte. „Ich habe nicht die Absicht, ins Medialnet zurückzukehren – wenn der Rat erfahren würde, dass wir nicht getötet worden sind, wäre das der sichere Tod für meine Familie. Aber ich kann da draußen untertauchen und meine Dienste frei anbieten.“
„Als was denn?“
Judd sah in die kalten Wolfsaugen. „Ich werde den Dreck wegräumen, was sonst?“ Eine grausame Möglichkeit, die aber seine Fähigkeiten im Zaum halten würde.
„Ich kann doch keinen Auftragskiller auf die Scheißwelt loslassen.“ Hawke fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die genauso silbrig-golden schimmerten wie sein Pelz als Wolf.
Judd sah keine Notwendigkeit, Hawke zu erzählen, dass er schon monatelang unentdeckt arbeitete. Die Kunden sahen ihn nie. Er traf keinen von ihnen. Und er mordete nicht für sie. Noch nicht. „Keine schmutzigen Geschäfte“, sagte er. „Die nächsten drei oder vier Jahre werde ich in diesem Staat nur Sicherheits- und Überwachungsdienste übernehmen.“
Er musste in der Nähe bleiben, bis er Sienna einen Teil der Aufgaben übergeben konnte, mit denen er die Funktionsfähigkeit des Laurennetzes sicherstellte. Dieses Netzwerk versorgte die Mitglieder ihrer Familie mit dem notwendigen Biofeedback. Kein Medialer konnte ohne eine solche mentale Rückkopplung überleben. Wenn er sich zu weit entfernte, würde er das ohnehin schon dünne Netzwerk überstrapazieren und für Fehlentscheidungen anfällig machen. „Ich werde nicht in Ihrem Territorium arbeiten.“
„Was geschieht, wenn Sienna erwachsen ist?“, fragte Hawke zu Judds Erstaunen.
„Ich könnte mir vorstellen, als Söldner nach Afrika zu gehen.“ Irgendwo in den tiefsten Urwald. Dort streiften nur Gestaltwandler umher, und es gab keine Medialen, die ihn erkennen konnten. Und keine Frau, in deren Lächeln die Sonne leuchtete. Doch dieser Gedanke zerschellte sofort an der grausamen Realität – denn er würde dieses Lächeln sowieso verlieren, sobald Brenna erkannte, wer er wirklich war.
„Es gibt noch eine andere Möglichkeit.“ Hawke beobachtete ihn regungslos, wie ein Raubtier seine Beute. „Sie könnten auch Soldat bei den SnowDancer-Wölfen werden. Dann könnten Sie Ihre Fähigkeiten ebenfalls anwenden, stimmt’s?“
„Das würde reichen, um den größten Dampf abzulassen.“ Judd wusste, er hätte lügen sollen, sobald die Worte heraus waren. Warum hatte er es nicht getan? Er schaute nach innen, die Schilde hielten. Dennoch brachte ihn irgendetwas dazu, sich gegen seine eigene Entscheidung zu stellen. „Doch diese Möglichkeit ist mir verschlossen. Niemand hier traut mir – das Ganze wäre eine Farce.“
„Vertrauen kann man sich verdienen.“
„Die meisten Gestaltwandler hassen die Medialen, und die SnowDancer-Wölfe gehen sogar noch einen Schritt weiter.“ Nachdem er das Werk Enriques gesehen hatte, konnte Judd ihre Reaktion allerdings verstehen.
Hawke zog seine Worte nicht in Zweifel. „Sie haben geholfen, Brenna zu befreien – das ist schon mal ein Anfang. Werden Sie mein Soldat.“
Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. „Ich hatte gedacht, Sie würden den Tag feiern, an dem Sie mich endlich loswerden.“
„Das Alphatier in mir glaubt, sie könnten sehr nützlich sein.“
Judd wusste, warum Hawke seine Fähigkeiten brauchte. Aus denselben Gründen wie der Rat. Den Mächtigen gefiel die Vorstellung, einen zahmen Auftragskiller
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