Eisige Umarmung (German Edition)
Versuchung.“ Sie schlug das Buch auf. „Huschhusch.“
„Selber schuld, kleine Schwester.“ Er grinste wieder und zog die Tür hinter sich zu.
Sie schloss fest die Augen und atmete mehrmals tief durch, um den Klumpen loszuwerden, der sich in ihrer Kehle festgesetzt hatte. Aber sie war viel zu aufgewühlt, und so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich einfach auf nichts konzentrieren, schon gar nicht auf das Buch in ihrer Hand. Sie konnte nur noch daran denken, wie sehr sie Judd brauchte, wie dringend sie sich nach seiner Umarmung sehnte. Dieser Wunsch war dumm und konnte unmöglich in Erfüllung gehen, aber das Tier in ihr scherte sich nicht darum. Wo steckte Judd bloß? Sie versuchte noch ein paar Mal, ihn zu erreichen, aber schließlich übermannte sie doch der Schlaf. Nur brachte er ihr keine Erholung.
Ein Durcheinander von Empfindungen, der beißende Geschmack von Angst auf ihrer Zunge, Panik pulsierte in ihrem Körper. Sie hatte einen Fehler gemacht und musste nun den Schlamassel wieder in Ordnung bringen –
Geräuschfetzen. Ein Kinderlachen. Furcht, Freude, ein Geburtstagskuchen –
Er war so sexy, sie wollte –
Angst. Es roch salzig, falsch und böse. Eine einzige Katastrophe, die man beseitigen musste –
Brenna stöhnte und drehte sich auf die Seite. Wenn jemand im Zimmer gewesen wäre, hätte er sie vielleicht wecken können. Aber sie war allein und hatte unverständliche Träume, bloße Gedankenfetzen. Ihr Verstand suchte nach einem Halt, doch der Weg war versperrt. Das hätte nicht sein dürfen.
Einen Moment lang spürte sie klar und deutlich ihre Wut. Er durfte das nicht tun.
Kurz darauf war sie erneut in ihren Träumen gefangen.
Als die ersten Flammen hinter ihm aufflackerten, ging Judd fort. Er hatte die Hände in den Taschen vergraben und die Kapuze des schwarzen Sweatshirts über den Kopf gezogen, sah aus wie ein Rowdy und nicht wie ein Pfeilgardist. Selbst wenn eine Überwachungskamera ihn erfasst hätte – was bei seinen Fähigkeiten äußerst unwahrscheinlich war –, wäre es unmöglich gewesen, seine Identität festzustellen. Um seine Spuren noch mehr zu verwischen, hatte er viel Mühe darauf verwandt, nichts zu hinterlassen, was auf eine mediale Beteiligung schließen ließ, und für die Sprengladung nur Materialien verwendet, die Menschen und Gestaltwandlern gleichermaßen zugänglich waren.
Hinter ihm gingen die Warnsirenen an, und er hörte das Zischen der Sprinkleranlagen. Das würde die Aktion jedoch nicht gefährden können. Er hatte die Explosion so berechnet, dass der entscheidende Abschnitt auch ohne einen Brand ausgeschaltet wurde. Wenn die Sprengung wie geplant funktionierte, würde dort nichts mehr zu retten sein. Er zweifelte nicht daran, dass ihm das gelungen war, denn schließlich hatte ihn der Ratsherr Ming LeBon höchstpersönlich ausgebildet.
9
Keiner der Wachposten nahm seinen telekinetisch in eine andere Dimension verschobenen Körper wahr, als er um vier Uhr morgens auf der dunklen Straße an ihnen vorbeiglitt. Der Rat hatte das Labor bewusst in einem Vorort angesiedelt, weil sie angenommen hatten, es würde zwischen den Wohnhäusern unentdeckt bleiben und vor Angriffen geschützt sein. Sie hätten es besser wissen müssen.
Judd wurde eins mit den Schatten auf der anderen Straßenseite und beobachtete die Häuser neben dem Laborgebäude, damit er sie mit einem telekinetischen Schild schützen konnte, wenn es notwendig werden würde – denn im Gegensatz zum Rat hielt er zivile Opfer nicht für einen unvermeidbaren Kollateralschaden. Diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich jedoch als unbegründet. Nicht einmal ein Funken flog über das Gelände hinaus.
Ein perfekter Anschlag.
Lichter flackerten die Straße entlang. Gleichzeitig verließen Sicherheitsleute das Gelände, suchten nach einer Spur, die schon kalt gewesen war, als er das Gelände verließ. Sie hatten volle zwei Minuten gebraucht, um etwas zu unternehmen. Nachlässigkeit. Dem Leiter dieser Operation war wohl zu Kopf gestiegen, dass über ein Jahr lang nichts geschehen war.
Diese Reaktion hatten das Gespenst und er vorausgesehen.
Zufrieden warf er noch einen letzten Blick auf die verlöschenden Flammen und ging dann durch den Garten eines Einfamilienhauses. Als er an einer Schaukel vorbeikam, wurde sein Blick unwillkürlich von einem dunklen Fenster im zweiten Stock angezogen. Dort lebte ein Kind, ein kleiner Junge, halb Mensch und halb Gestaltwandler, der mehr Energie hatte, als er
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