Eisige Umarmung (German Edition)
auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfte. Das Urteil fiel deutlich aus – er war wieder voll da.
Geduckt stellte er sich in die kleine Duschkabine. Nach dem Duschen schlüpfte er in Hose und Pullover, die er vor seinem Zusammenbruch noch abgestreift hatte. Seine Jacke lag noch im Wagen. Als er den Flur im hinteren Teil der Kirche betrat, nahm ihn der kristallklare Gesang des Chores völlig gefangen.
Nach der Einführung von Silentium hatten die Medialen die Fähigkeit verloren, solche Töne hervorzubringen, ihre Stimmen waren zu flach, zu tot. Aber da die Angehörigen seines Volkes sowieso keine Musik hörten, wurde das nicht als Verlust empfunden. Jetzt wurde Judd klar, dass sie sich belogen hatten – der Verlust war immens. Die Tatsache, dass er sowohl diese Wahrheit als auch die Schönheit des Gehörten erkennen konnte, ließ ein weiteres Warnsignal aufleuchten.
Vater Perez trat aus einem Raum am Ende des Flurs. „Ah, Sie sind aufgewacht.“ Er schaute Judd nachdenklich an. „Geht es Ihnen gut? Sie sahen ziemlich kaputt aus, als sie reinkamen.“
Judd hatte es gerade noch in das freie Zimmer geschafft. „Es geht mir gut. Vielen Dank für das Bett.“ Und dafür dass Sie keine Fragen gestellt haben.
„Wofür hat man denn Freunde?“ Perez lächelte. „Was halten Sie davon, einen Bissen zu essen? Sie waren etwa“, er sah auf die Uhr, „zwanzig Stunden weggetreten.“
„Ich werde –“ Bevor er den Satz beenden konnte, drängte sich etwas Wichtiges in seinen Kopf. Er musste zurück – zu Brenna. Bevor es zu spät war. „Ich muss los.“ Damit rannte er am Priester vorbei zur Tür.
Der Wagen stand in der angrenzenden Garage, die Treibstoffzellen hatten sich aufgeladen, während er geschlafen hatte. Er widerstand der Versuchung, sofort loszufahren, und verbrachte zehn wertvolle Minuten damit, das Fahrzeug auf Sender zu untersuchen. Die SnowDancer-Wölfe hielten ihre Höhle geradezu fanatisch geheim – ihre Militärtechniker hatten die Satellitenabwehr schon perfektioniert, bevor der erste Spionagesatellit seine Umlaufbahn erreicht hatte.
Judd teilte diese Haltung. Ein Feind konnte nur ein Ziel angreifen, das er sah. Er würde nichts tun, was die Sicherheit der Wölfe gefährdete, denn damit brachte er auch Brenna in Gefahr. Und das durfte nicht geschehen.
Als er den Wagen in der unterirdischen Garage der Höhle parkte, hatte das Warnsignal in Judds Kopf bereits einen kritischen Punkt erreicht. Sobald seine Füße den Boden berührten, stürmte er mit voller Kraft los und war in weniger als einer Minute bei den Kincaids.
Die Tür stand offen.
Im Wohnzimmer waren Riley, Andrew, Hawke und Greg – von dem Judd wusste, dass er gemein und intolerant war. Greg hatte blutige Kratzer im Gesicht, und auch Andrews linker Unterarm sah ziemlich zerkratzt aus.
„Wo ist sie?“
Alle vier sahen ihn an. Andrew bleckte die Zähne. „Scher dich raus. Geh zum Teufel! Euretwegen ist sie doch in dem Zustand.“
Judd sah Greg an. „Was haben Sie mit ihr gemacht?“ Eis floss in seinen Adern, und der dunkle Teil von ihm, der ohne Zögern töten konnte, kam zum Vorschein.
„Gar nichts!“, schrie Greg. „Das versuche ich doch die ganze Zeit zu sagen. Scheiße noch mal, ich hab der kleinen Prinzessin nichts getan.“
„Pass auf, was du sagst, oder ich kleb dir eine“, knurrte Hawke.
Greg hob die Hände. „Also gut, obwohl sie eigentlich nicht dazugehört, hat sie den ganzen Abend mit Madeleine, Quentin, Tillau, Laine und mir rumgehangen. Wir haben irgendwas gekocht und es uns dann bei mir gemütlich gemacht. Als die anderen abgezogen sind, ist sie noch geblieben.“
Judd brauchte all seine Konzentration, um Greg nicht auf der Stelle umzubringen. Brenna war wahrscheinlich hinter der geschlossenen Tür, vor der Riley stand. Und sie steckte in Schwierigkeiten. Trotz der hämmernden Dissonanz in seinem Kopf hätte er sich mühelos dorthin teleportieren können. Sein Instinkt – schon wieder dieses Wort – sagte ihm aber, dass er noch warten müsse. Zuerst musste er erfahren, welchen Schaden Greg angerichtet hatte.
„Ich dachte, sie wollte … ihr wisst schon.“ Greg zuckte mit den Schultern. „Aber nachdem wir eine Stunde geredet hatten, verließ sie die Wohnung, und ich gab es auf.“
„Einfach so?“, knurrte Andrew. „Du bist doch sonst nicht jemand, der leicht aufgibt.“
„Ich bin doch kein Trottel. Riley und du hätten mich doch bei lebendigem Leibe gefressen, wenn ich irgendwas versucht
Weitere Kostenlose Bücher