Eisige Versuchung
Stirn knallte auf die Seite, auf der Shade in einiger Entfernung stand und ihn auslachte, weil er so tollpatschig war.
Kid versuchte, sich festzuhalten, aber seine Hände glitten durch das Erdreich, als wäre es Wackelpudding, und so fand er keinen Halt.
Als er in die Kluft fiel, kreischte er, als würde er abgeschlachtet werden.
Shade, die endlich schwieg, hörte die entsetzlichen verzweifelten Schreie immer noch, als er längst unten aufgeschlagen und auf ewig verstummt war.
Selbst heute noch, wenn sie schlecht träumte. Kid verfolgte sie nach all den Jahren immer noch, und jetzt war der Moment gekommen, wo er ihr heimzahlte, dass sie ihn in den Tod gelockt hatte.
Auf Shade wartete etwas Schlimmeres, als nur zu sterben: die Hölle. Zudem würde ausgerechnet der Mann, den sie mehr als alles liebte, sie der ewigen Verdammnis im Permafrost ausliefern.
Kids Rache kam spät, aber umso heftiger.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
In Sicherheit
Plötzlich wurde es eiskalt im Haus.
Shade öffnete die Augen. Während sie ihre Oberarme rieb, schaute sie sich überrascht um. Der Frost schien nicht von Roque auszugehen, denn er saß noch immer in einiger Entfernung zu ihr und wirkte erschöpft – und bekümmert.
Sogar seine Flügel hingen kraftlos herab. Als wäre ihnen jegliche Spannung geraubt worden und sie würden langsam zerfließen, ergossen sie sich über den Boden. Das Weiß der Federn war inzwischen nicht einmal mehr elfenbeinfarben, sondern erinnerte an Schnee, auf den ein Hund gepinkelt hatte. Ein kranker Ton, gelb wie die Haut eines Dahinsiechenden.
Roque beachtete Shade nicht, sondern spähte in die Küche hinter ihr, und sein Blick ließ nichts Gutes erahnen.
Sie vernahm ein seltsames Rauschen genau aus dieser Richtung. Es wurde lauter und erinnerte sie an Tornados, die sie glücklicherweise nur aus dem Fernsehen kannte. Allerdings hatte dieses Geräusch nichts in einem Haus zu suchen. Was mochte die Ursache sein?
Besorgt wandte sie sich um – und erstarrte! Sie keuchte und konnte kaum glauben, was sie doch mit eigenen Augen sah. An der Zimmerdecke schwebte eine Superzelle, aus der sich ein Rüssel formte. Trichterförmig wuchs er zum Boden herab. Statt Luft wirbelte er Schnee, Graupel und Hagelkörner umher.
Touchdown! Mitten auf dem Podest zwischen Holztheke und Küchenschränken.
Wie eine Säule erstreckte sich die übersinnliche Windhose, die die Konsistenz eines Blizzards zu haben schien, von der Empore bis zur Decke und nahm die gesamte Küche ein. Das Tosen war inzwischen ohrenbetäubend, als befände sich ein gigantisches Mahlwerk direkt neben ihnen.
Shade zweifelte keinen Moment daran, dass dieser Wirbelsturm todbringend war. Ängstlich kroch sie fort, weil sie befürchtete, er könnte sich auf sie zubewegen und sie einsaugen.
Erst als Roque bereits hinter ihr stand, bekam sie mit, dass er sich erhoben hatte und zu ihr gekommen war. Jetzt würde er sie packen und in die Windhose werfen, damit die Eisgriesel ihr das Fleisch von den Knochen rieben und sie zermalmten … damit sie starb und in das Reich des Eisigen Lords gelangte.
Als er ihr seine Hände hinhielt, schlug Shade sie weg. Was bildete er sich ein? Dass sie sich kampflos ergab? Niemals!
Doch Roque, auch wenn er einen kränklichen Eindruck machte, besaß immer noch mehr Kraft als sie. Als wäre sie ein Püppchen, zog er sie mühelos auf die Füße.
Sie wehrte sich, riss sich los und taumelte rückwärts. Tränen nahmen ihr die Sicht. Wie konnte er ihr das nur antun, wo er selbst wusste, wie grausam es im Schattenreich und dass sie ihm zugetan war? Im Grunde durfte sie ihm nicht einmal Vorwürfe machen, denn er hatte sie ja bereits darüber aufgeklärt, dass Engel nicht liebten. Vermutlich hatte er lediglich den Sex mit ihr genossen und sich die Zeit mit ihr vertrieben, bis ihm gezeigt wurde, wo er seinen Auftrag beenden konnte. Genau hier, genau jetzt. Nun wurde er vom Liebhaber wieder zum Krieger des Teufels. Und sie war sein Opfer.
Seine Hände schnellten vor und packten Shade, bevor sie sich ihm entziehen konnte.
»Du wirst mich tatsächlich deinem Herrn ausliefern, nach allem, was wir miteinander geteilt haben?!«, schrie sie gegen den Lärm der wundersamen Großtrombe an.
Roque drückte sie eng an sich und sprach direkt in ihr Ohr, sodass sie ihn deutlich verstand. »Wie kannst du nur so etwas von mir denken?«
Zitternd wie Espenlaub, vor Furcht und weil die Temperaturen immer weiter abfielen, schmiegte sie sich an ihn,
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