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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Beute.
    »Arthur kennt deinen Namen.« Sie ärgerte sich darüber, dass sie aus Furcht, ihn zu reizen, leise sprach. »Ihr habt euch miteinander bekannt gemacht.«
    »Wir sind trotzdem keine Freunde.«
    »Der Kerl, der bei ihm ist, könnte ihm gerade jeden Finger einzeln abschneiden.«
    Unter ihren Handflächen spürte sie, wie ein Beben durch Roques Körper ging. Auch wenn er noch so skrupellos tat – sie nahm ihm nicht ab, dass der alte Mann ihm egal war.
    »Einen weiteren Zeugen kann ich nicht dulden. Zwei sind bereits zwei zu viel.«
    Würde er sie jetzt umbringen? Nein, redete sie sich ein, er hatte sie bestimmt nicht vor Averell gerettet, um sie dann selbst zu töten. Außerdem flimmerten seine Iriden vielfarbig. Sie war sich nicht zu schade, ihn anzuflehen. »Bitte!«
    Seine Stimme bekam eine neue Nuance. Sie klang dunkler, rauer und vibrierte sanft: »Höre ich da ein unausgesprochenes Tu es meinetwegen heraus?«
    Kurz hielt sie die Luft an, weil sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. Ja, der Gedanke war ihr gekommen, immerhin war er ihr zu Hilfe geeilt. Aber niemals hätte sie gewagt, es auszusprechen. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was Roque war – ein Engel, nun gut, aber was war ein Eisengel? –, wie er tickte und ob sie das bunte Schimmern seiner Augen richtig deutete. War es wirklich Begehren?
    »Ich kann das Risiko nicht eingehen.«
    Seine Flügel schmiegten sich wieder an seinen Rücken, als er an ihr vorbeigehen wollte, aber Shade umschlang mit beiden Händen seinen muskulösen Oberarm und hielt ihn kämpferisch fest. »Wenn Art dir nichts bedeuten würde, hättest du ihn längst zum Schweigen gebracht.«
    »Diese Großzügigkeit hat andere Gründe, die noch schäbiger sind, als sich zu weigern, den Helden zu spielen.«
    »Nur du kannst ihn retten, Roque!«
    »Das ist Unsinn. Ihr hättet mich gar nicht sehen dürfen, also tut so, als wäre ich einfach nicht da, sonst …«
    »Sonst was?«, keifte sie, dabei hasste sie keifende Weiber. Sie war eben verzweifelt. Und wütend. Und wehrlos. »Wie kannst du so kaltherzig sein?«
    Unvermittelt packte er sie und drückte sie eng an seinen Körper. Aber er tat ihr nicht weh, sondern hielt sie nur sehr fest. Sein Gesicht war dem ihren so nah, dass es den Anschein machte, als würde er ihre Atemwölkchen inhalieren. Shades Unterleib pochte genauso heftig wie ihr Herz. Sie wusste Roques Verhalten nicht zu deuten. Ebenso wenig verstand sie die Reaktion ihres eigenen Körpers auf ihn.
    Plötzlich drehte er sie herum. »Du bist ganz schön hartnäckig. In Ordnung, ich schaue mir die Situation an, aber wir fliegen zum Holzhaus.«
    Er umschlang ihre Hüften und ihren Oberkörper von hinten und hob mit ihr ab. Sein Arm drückte sich auf ihren Busen. Jetzt kreischte sie auch noch! Kreischen war nicht einen Deut besser als Keifen, aber sie konnte genauso wenig dagegen tun wie gegen das erschrockene Japsen, das darauf folgte.
    Panisch hielt sie sich an Roques Armen fest, denn sie gewannen rasch Abstand zum Boden. Über ihr schwangen die Flügel des Eisengels und brachten sie immer höher hinauf. Sie spürte den Wind, den sie verdrängten, in ihrem Gesicht.
    Roque schlang seine Beine um ihre, damit sie nicht herabhingen. Vielleicht scherte ihn ihr Wohlergehen auch nicht, sondern es ging ihm nur um die Statik. Was wusste Shade schon vom Fliegen!
    Über den Baumwipfeln lachte sie halb aus Angst, halb aus Faszination. Ein Rabe kreuzte ihre Flugbahn und drehte mit einem schimpfenden Krah! ab.
    »Gegen einen Engel kannst du wohl nicht anstinken«, dachte Shade und genoss mit einem Mal die frisch Brise. Hier oben empfand sie das Gefühl von Freiheit, das sie als Kind gespürt hatte, wenn sie in den Wäldern rund um Bridgeport unterwegs gewesen war. Ohne Eltern. Ohne Verpflichtungen. Ohne Regeln und ohne Tabus. Nichts war wichtig gewesen, nur der Moment hatte gezählt.
    »Wahrhaftig frei!«, dachte sie. Schmiegte Roque etwa seine Wange an ihren Hinterkopf? Für den Moment vergaß sie, dass er Averell vielleicht getötet hatte, dass Arthur mit einem bewaffneten Mann allein war und dass dieser Winter und der Engel gar nicht existieren durften.
    Erst als sie das Dach der Kate erspähte, kehrten die Sorgen, die sie sich um Arthur machte, zurück. Ihr Magen ballte sich zusammen. Am liebsten hätte sie seinen Inhalt ausgespuckt, doch da landeten sie schon auf der Lichtung.
    Shade war außer Puste, weil das, was sie soeben erlebt hatte, überwältigend gewesen war.

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