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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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befürchtet, hatte sie in den Bergen keine Verbindung zum Mobilnetz.
    Immerhin schneite es nicht mehr, eine klare Sicht hatte sie dennoch nicht, denn es dämmerte bereits. Im Wald unter der grauen Wolke, die über dem Mount Jackson hing, wurde es rasch dunkel.
    »Gurr für mich, Täubchen!«, hörte sie den Kerl rufen.
    Als sie sich nach ihm umschaute, um festzustellen, wie nah er an ihr dran war, stand er zwar noch auf dem Vorplatz der Hütte, zielte jedoch mit seinem Revolver auf sie. Ihr Puls schnellte in die Höhe. Sie riss nach rechts aus, nur weg aus seiner Schusslinie. Die Bäume boten ihr ein wenig Schutz. Aber sein Keuchen verriet ihr, dass er ihr folgte.
    Angstschweiß lief ihren Rücken hinab. Sie kämpfte sich durch den weißen Bodenbelag und verfluchte ihre Faulheit. Wäre sie doch regelmäßiger im North-Hollywood-Park joggen gegangen! Aber nicht nur das Stapfen bereitete ihr Probleme, sondern auch die Höhenmeter.
    Averell, der vermutlich in dieser Region lebte, kam weitaus besser mit der dünnen Luft zurecht, denn er holte auf. »Welch ein Armutszeugnis!«, dachte sie zerknirscht und versuchte, schneller zu laufen, aber ihre Beine wollten ihr einfach nicht gehorchen.
    Plötzlich hörte sie sein Schnaufen nicht mehr. Sie vernahm nur das Knistern der träge zur Erde fallenden Schneeflocken, was unpassenderweise eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Unsicher blieb sie stehen und schaute sich nach dem Mann um. Nichts. Sie schien allein zu sein. Hatte er aufgegeben, ihr zu folgen? Hatte Roque ihn vielleicht außer Gefecht gesetzt?
    Als der Fremde aus einer Gruppe von dicht beieinanderstehenden Tannen hervorsprang, blieb Shade fast das Herz stehen. Erschrocken taumelte sie rückwärts und fiel in den Schnee. Atemwölkchen kamen stoßweise aus ihrem Mund.
    Er fuchtelte mit der Waffe herum, kam auf sie zu und zog Shade mit seinen Blicken aus. »Mir ist ganz heiß da unten. Er braucht eine Abkühlung. Hol ihn doch mal für mich raus, Täubchen, ich hab’ grade keine Hand frei!«
    »Fick dich selbst!«, schrie Shade, sprang auf und warf ihm eine Handvoll Schnee in die Augen.
    Fluchend riss er seine Hände hoch und wischte sich übers Gesicht.
    Nun, da die Pistole nicht mehr auf sie gerichtet war, jagte Shade los. Sie musste zum Staudamm, dort parkte ihr Wagen. Bestenfalls traf sie am Walker River auf ein paar Angler. Wahrscheinlich funktionierte im Tal auch ihr Mobiltelefon.
    Aber egal, wohin sie lief, Averell schnitt ihr den Weg ab, sodass sie sich immer wieder von ihrem Ziel entfernen musste, um ihm nicht direkt in die Arme zu laufen. Sie hastete den Hang hinauf und schlug einen Haken, der sie zwar wieder in Richtung Hütte führte, aber eben auch fort von ihrem Verfolger. Wenn auch nur kurz.
    Sie war einfach nicht in der Lage, so viel Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, dass sie außerhalb der Reichweite seines Revolvers an ihm vorbei bis ganz nach unten laufen konnte. Er wirkte debil, aber seine Füße waren flink.
    »Hab dich doch nicht so! Ich tu’ dir nichts. Wir müssen uns doch beschäftigen, bis die beiden miteinander fertig sind!«
    So, wie er die letzten Worte aussprach, bekam Shade ein schlechtes Gewissen, weil sie Arthur mit Joe allein gelassen hatte. Aber sie half ihm mehr damit, wenn sie Hilfe holte. Allerdings verstrichen wertvolle Minuten, und sie kam kaum vorwärts.
    Erneut tauchte ihr Verfolger aus dem Nichts vor ihr auf. Er entblößte seine gelben Zähne und packte sich mit seiner freien Hand in den Schritt. »Du weißt doch, was man sagt: Wenn man Spaß hat, fliegt die Zeit.«
    Shade kam sich so wehrlos wie nie zuvor in ihrem Leben vor. Das Böse schien sich in dieser unnatürlichen Winterlandschaft zu vervielfältigen, als wären die Flocken Viren, die Niedertracht übertrugen. Erst hatte Roque sie bedroht, jetzt galt es, gleich zwei Gegner auszuschalten. Was kam als Nächstes? Drei Grizzlybären, die es aggressiv machte, dass der Frost sie überrascht hatte, bevor sie in den Winterschlaf fallen konnten?
    Aus einem unerfindlichen Grund verteidigte sie den Eisengel vor sich selbst. So teuflisch konnte er nicht sein, immerhin hatte er Arthur am Leben gelassen. Um seine Existenz geheim zu halten, hätte er den Einsiedler töten müssen, das wäre die logische Konsequenz gewesen.
    Ob er Joe und Averell geschickt hatte, damit sie diesen Fehler ausbügelten? Waren sie seine Handlanger? Wenn Shade genauer darüber nachdachte, konnte sie sich das nicht vorstellen. Roque machte nicht

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