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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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vor Wut, als trüge sie Schuld an dem Graupelschauer. Er nahm Schwung, um sich auf sie zu stürzen.
    Plötzlich flog etwas sehr Großes heran. Es packte Averell, riss ihn von den Füßen und hob ihn in die Luft. Keine Sekunde später wurde er gegen einen Baumstamm geschleudert. Als er auf dem Boden ankam, hatte er das Bewusstsein verloren. Roque wuchtete ihn einen Abhang hinunter und schaute ihm teilnahmslos hinterher.
    »Du hast ihn umgebracht!«, schrie Shade bestürzt.
    »Wolltest du das nicht?« Er neigte seinen Kopf seitlich.
    Roque hatte sie also doch gehört und war ihretwegen gekommen. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Doch sie wollte ihm nicht signalisieren, dass es in Ordnung war, was er getan hatte, und wurde wieder ernst. »Nein, natürlich nicht.«
    »Dann hättest du mich nicht rufen sollen.«
    Wahrscheinlich hätte sie es sich denken können: Er war keiner von den Guten, auch wenn er ihr nichts getan hatte. Bis jetzt.
    »Ihr Frauen …« Amüsiert schnalzte er. »Ihr wollt, dass man eine Spinne aus dem Zimmer entfernt, aber das Klo runterspülen dürfen wir Männer sie nicht, sondern wir sollen sie behutsam nehmen und in den Garten setzen.«
    Er schien also doch ein menschliches Leben geführt zu haben, bevor er zu einem Engel geworden war. Das beruhigte Shade etwas.
    Sie sprang auf und stellte sich neben ihn. Doch als sie in den Abgrund spähte und Averell dort liegen sah, verschwamm das Bild vor ihren Augen. Einige Sekunden lang war es nicht sein Körper, der um einen Baumstamm, der seinen Fall abgefangen hatte, gewickelt war, sondern der eines Kindes. Der blutgetränkte Schnee ließ bittere Galle in ihr aufsteigen. Dann klärte sich ihr Blick wieder, und sie kehrte in die Gegenwart zurück. Erst jetzt spürte sie, dass Roque sie festhielt.
    »Du hast gewankt«, sagte er sanft, als müsste er sich für die Berührung rechtfertigen, und ließ sie los.
    Dort, wo er sie angefasst hatte, prickelte ihre Haut köstlich, dabei waren zwei Lagen Stoff – ihr langärmeliges T-Shirt und die Jacke – dazwischen gewesen. Ihre Wangen brannten. Hatten seine Mundwinkel gezuckt, weil er ihre Verlegenheit bemerkte?
    Ihr fiel ein schwarzer Fleck im Schnee dort unten neben Averell auf. Sie fragte sich, was das sein mochte. Es hatte zwar aufgehört zu hageln, und die Schneeflocken schwebten nur noch vereinzelt vom Himmel herab, der Abend schritt jedoch voran, und die Schatten wurden länger. Shade blinzelte und sah intensiver hin. Seine Waffe!
    Aufgeregt flog sie zu Roque herum. »Sein Komplize hat auch eine Pistole. Er ist in der Hütte. Wir müssen Arthur helfen!«
    Zu ihrer Überraschung ging der Eisengel jedoch in die andere Richtung davon. Fassungslos lief sie hinter ihm her, denn sie wusste, dass sie niemals allein gegen den Mann, den sie Joe getauft hatte, ankäme. »Das kannst du nicht machen!«
    »Was?«, fragte er, ohne anzuhalten.
    »Ihn im Stich lassen.«
    »Ich schulde ihm nichts.«
    »Du trägst trotzdem die Verantwortung!«, schrie sie ihn aufgebracht an, stellte sich vor ihn und stemmte sich gegen seinen imposanten Brustkorb.
    Er blieb stehen, betrachtete zuerst ihre Hände verwundert und dann sie. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich alarmiert auf, aber sie trat nicht zur Seite. Es fühlte sich für sie an, als würde seine Haut einige Grad kälter werden – fast so, als wollte er Shade loswerden, indem er sich nicht nur kühl gab, sondern auch seine Körpertemperatur senkte. Aber sie brauchte ihn und blieb, wo sie war, um ihm zu zeigen, dass sie sich nicht so leicht von ihm einschüchtern ließ.
    Plötzlich breitete er jedoch seine Flügel in ihrer ganzen Größe aus. Drohend baute er sich vor Shade auf, kam langsam näher und ließ sie zweifeln, ob sie ihn nicht besser in Ruhe gelassen hätte. Er war kein Mensch, zumindest nicht mehr, und fühlte sich ihnen nicht verpflichtet. Warum sollte er ihnen also helfen?
    Shade wich rückwärts aus, stieß gegen einen Baum und keuchte erschrocken. Nun stand Roque so nah vor ihr, dass sie ihm nicht entkommen konnte, zumal er seine Schwingen nach vorn gebogen hatte und diese ihr die Flucht zur Seite nahmen.
    Tief schaute er ihr in die Augen. Sie zitterte, jedoch mischte sich zu ihrem eigenen Erstaunen Lust unter ihre Angst. Hätte er sie in diesem Moment geküsst, hätte sie bereitwillig ihren Kopf in den Nacken gelegt und ihren Mund einladend für ihn geöffnet.
    Leider neigte er sich lediglich über sie wie ein Greifvogel über seine

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