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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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den Eindruck, als brauchte er jemanden, der seine Angelegenheiten regelte. Dazu war er bestimmt sehr gut selbst in der Lage.
    Er war stark, überirdisch und bereit dazu, Gewalt anzuwenden, das hatte sie in seinen Augen gelesen.
    Sie wusste nicht, wie er zu ihr stand. Dass er kein Freund war, konnte sie sich denken, aber er schien auch nicht ihr Feind zu sein, sonst hätte er sich nicht zurückgezogen, als Arthur aufgetaucht war. Sie glaubte kaum, dass eine Flinte einen Mann wie ihn – einen Engel – beeindruckte. Vielmehr hoffte sie, dass er ihr nichts hatte tun wollen. Es mochte aber auch sein, dass sie sich das nur einredete, weil sie es sich wünschte.
    Wie auch immer die Wahrheit aussah: Er stellte ihre einzige Chance gegen Averell dar!
    Shade legte ihre Hände wie einen Trichter an ihren Mund. »Roque!«
    Nichts regte sich. Nur ihr Gegner runzelte die Stirn und schaute sich ebenso suchend um wie sie. Als sie zu den Baumwipfeln aufblickte, schüttelte er den Kopf, als hielte er sie für verrückt.
    Vielleicht war sie das sogar, wenn sie glaubte, ein Eisengel würde sich schützend vor sie stellen und sich damit einer dritten Person zeigen. Drei Menschen, die ihn verraten konnten. Lag es nicht näher, dass er froh war, wenn sie sich gegenseitig auslöschten? Somit bliebe sein Geheimnis gewahrt.
    »Roooque!«, rief sie lauter, weil ihre Verzweiflung wuchs. Einige Flocken fielen herab. Bewies das nicht, dass er sie hörte? Warum reagierte er dann nicht?
    Der Fremde mit der Augenprothese kam langsam näher. Er weidete sich offensichtlich daran, ihr Angst einzujagen. Sein fieses Lächeln wurde breiter und vor allen Dingen gieriger, sodass es Shade eine Gänsehaut über den Leib jagte. Sie vermutete, dass er im Alltag nicht solch eine Macht über andere ausübte und sie deshalb genoss. Sie kämpfte gegen ihre Furcht an, dennoch lähmte sie ihre Glieder.
    Nur unter Aufbietung all ihrer Kraft schaffte sie es, ihre Beine zu bewegen. Sie wich nach hinten aus, was allerdings bedeutete, dass sie den Berg rückwärts hochgehen musste. Es wurde rasch dunkler. Der Schneefall nahm zu – was nichts mit Roque zu tun haben konnte, sagte sie sich. Arthur musste sich getäuscht haben. Er glaubte an einen Zusammenhang zwischen dem Eisengel und dem verfrühten Winterbeginn, aber Shade hielt es für Zufall, dass das mysteriöse Wesen aufgetaucht war, als es kälter wurde.
    Bisher hatte sie stets nach der Devise gehandelt: Hilf dir selbst, verlass dich auf niemanden! Geschwind wirbelte sie herum und wollte im Schutz zweier umgestürzter Bäume davonrennen, als Averell ihre Skijacke packte und sie zurückriss. Grob, aber nicht brutal ohrfeigte er Shade und stieß sie an den Schultern an, sodass sie mit ihrer Kehrseite in den Schnee fiel.
    Dicht und schnell wie weiße Wassertropfen prasselten die Flocken zur Erde. Shade musste blinzeln.
    Ihre Finger ertasteten einen Ast, doch bevor sie ihn nehmen und ihren Gegner damit schlagen konnte, beugte Averell sich auch schon über sie und richtete den Pistolenlauf auf sie.
    »Ich werde dir schon noch deine Flügel stutzen, Täubchen!« Er leckte sich über sie Lippen. Sein hungriger Blick glitt über ihren Körper.
    Selbst auf die Distanz konnte sie seinen Alkoholatem riechen. Vorsichtig nahm sie ihre Hand von dem Ast, um den Fremden nicht zu reizen. Sollte sie noch einmal nach Roque rufen? Nein, das ergab keinen Sinn. Er kam ja doch nicht, entweder weil er längst nicht mehr in der Nähe weilte oder weil er sich nicht um Menschen scherte.
    Für einen Moment verfiel sie in Selbstmitleid. War das jetzt die Strafe für ihr Fehlverhalten, das sie in ihrer Kindheit an den Tag gelegt hatte? Hatte das Schicksal sie absichtlich auf den Mount Jackson zurückgeführt, um sie dort zu richten, wo das Unheil geschehen war?
    Etwas traf Shade an der Wange. Sie zuckte zusammen und betastete ihr Gesicht. Prüfend schaute sie auf ihre Hand. Kein Blut! Erleichtert keuchte sie. Averell hatte also nicht auf sie geschossen.
    »Autsch, verdammt!« Er hielt sich den Nacken fest, dann rieb er über seinen Schädel.
    Als eine kleine Eiskugel in ihrem Schoß landete, erkannte sie, was sie bombardierte: Hagelkörner. Averell bekam augenscheinlich viel mehr ab als sie, denn er tanzte beinahe auf der Stelle. Der Beschuss machte ihn allerdings auch nervös. Er wedelte mit der Pistole herum und zielte auf einen imaginären Feind in alle möglichen Richtungen, bis er schließlich auf Shade zielte. Sein Hals färbte sich rot

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