Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
nicht?«
»Schlechtes Timing.«
»Aber eines Tages?«
»Ich muss jetzt gehen. Ich habe gleich einen Patienten.«
»Gehen Sie noch nicht. Bitte! Was muss ich tun?«
»Sie verstehen das falsch.«
»Nein, sagen Sie es mir. Sagen Sie mir, was ich tun soll.«
»Also gut.« Sie sagte es fast im Flüsterton: »Lassen Sie mich in Ruhe.«
Kurz vor sechs hörte Frieda zu arbeiten auf. Es dämmerte bereits, und ein feuchter Wind fegte durch die Straßen. Sie klappte den Mantelkragen hoch, schob die Hände tief in die Taschen und machte sich auf den Weg zu ihrem Häuschen, das ihr an diesem Abend weit entfernt vorkam. Sie wünschte sich in dem Moment nichts mehr, als bereits gemütlich vor ihrem Kaminfeuer zu sitzen. Da berührte sie jemand sanft an der Schulter. Sie drehte sich um. Vor ihr stand Harry. »Haben Sie auf mich gewartet?« Sie klang erbost.
»Ja, ich stehe hier schon seit über einer Stunde. Ich wollte mit Ihnen sprechen.«
»Ich bin auf dem Weg nach Hause.«
»Kann ich mitkommen?«
»Nicht heute Abend.«
»Dann eben nicht. Kann ich Ihnen trotzdem etwas sagen?«
»Was denn?«
»Nicht auf der Straße. Da drüben – können wir dort reden?« Harry deutete auf das Ödland, das Frieda jeden Tag von ihrem Sprechzimmer aus sah. In der Dunkelheit wirkte es größer und wilder als tagsüber von oben betrachtet. Unkraut war aufgegangen. Kinder hatten seltsame Bauwerke aus den Brettern und Metallplatten errichtet, die die Arbeiter dort zurückgelassen hatten, als die Abbrucharbeiten beendet waren. Nahe dem Riss im Zaun, neben dem Harry stand, lagen die Reste eines Lagerfeuers, dessen letzte Glut noch schwach glomm. Er zog das lose Stück Zaun zur Seite.
»Das halte ich für keine gute Idee«, sagte Frieda.
»Nicht weit von hier steht eine Bank«, fuhr Harry in schmeichelndem Ton fort. »Ich habe sie im Vorbeigehen gesehen, als ich gekommen bin. Nur für eine Minute, Frieda. Hören Sie sich an, was ich Ihnen zu sagen habe.«
Frieda zögerte, schob sich dann aber doch durch den Spalt. Harry folgte ihr und zog den Zaun wieder zu.
»Schießen Sie los.«
»Lassen Sie uns erst die Bank suchen.«
»Ich brauche keinen Sitzplatz.«
»Diese Richtung. Sie ist gleich da vorn.«
Sie wanderten tiefer in das umzäunte Ödland hinein. Hier und dort gähnten Krater im Boden. Vor ihnen stand ein verlassener kleiner Kran.
»Frieda«, murmelte Harry.
»Ja?«
»Es tut mir leid.«
»Was?«
»Tja, also, mein Liebling …«
Er sprach nicht weiter, weil sich vor ihnen plötzlich eine Gestalt vom Boden hochrappelte: ein alter, in eine Decke gehüllter Mann mit einer Flasche in der Hand. Aus seiner Kehle drang ein Ächzen, das seltsam eingerostet klang.
»Er hat geschlafen«, sagte Frieda zu Harry. An den Mann gewandt fügte sie hinzu: »Es tut mir so leid, dass wir Sie erschreckt haben.«
Er hob die Flasche an den Mund und nahm einen Schluck, wobei er sie fast senkrecht halten musste.
»Wir sind schon wieder weg«, fuhr Frieda fort. »Keine Sorge, wir lassen Sie gleich wieder in Ruhe.«
»Lady«, sagte er und folgte ihnen bis zum Zaun, wo sie sich rasch durch den Spalt schoben.
»Wofür wollten Sie sich eben entschuldigen?«, fragte Frieda.
Harry starrte sie an. Er sah aus, als fiele ihm das Sprechen schwer. Er drehte sich nach den vorbeieilenden Leuten um, die gerade aus der Arbeit kamen und unterwegs nach Hause oder zu ihrem Feierabenddrink waren.
»Ich hätte gern in Ruhe mit Ihnen gesprochen. Vielleicht könnte ich doch kurz mitkommen? Nur für einen Moment?«
»Nicht heute.«
»Na gut«, sagte er schließlich, »ich kann warten.«
46
M ichelle Doyce mochte das weiche, graubraune Klinikessen, das keine Ähnlichkeit mit irgendetwas hatte. Eines der Gerichte schmeckte ein bisschen wie Fisch und wurde mit einer dicken grauen Soße gereicht, enthielt aber keine Knochen und hatte keine feste Form. Ein anderes schmeckte ein bisschen wie Huhn, dazu gab es ebenfalls eine dicke graue Soße, und auch dieses Gericht war ganz ohne Knochen und Form. Nie sah das Essen aus, als könnte es sich bewegen oder mit ihr sprechen. Die Tage mochte sie nicht. Da gab es zu viele Dinge um sie herum, die sich anfühlten, als wollten sie auf ihren Kopf einschlagen, Farben und Geräusche und Gepiekse an ihrer Haut. Das alles verhakte und vermischte sich ineinander, so dass sie nicht unterscheiden konnte, was jeweils die Farbe war und was das Geräusch. Es war alles einfach da wie ein Gewitter, in dem sie ohne jede Orientierung
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