Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
Gelb verwandelte und dann zurück in ein Grün, bevor es zu Braun verblasste und schließlich in Schwarz überging. Die Dunkelheit fühlte sich warm an. Selbst die Lichter wirkten jetzt freundlicher. Sie blinkten von draußen durchs Fenster herein, weit weg, irgendwo in der Nacht. Drinnen blinkten auch welche, Lichter an Maschinen, rot und grün und gelb. Sogar die Geräusche klangen freundlich, wie ein sanftes Piepen und Fiepen. Nur ganz weit weg, außerhalb ihres Zimmers, waren manchmal Geräusche zu hören, die sie an den ganzen Schmerz erinnerten, Ächzen und Stöhnen und Schreie, aber die Dunkelheit war wie ein großer flauschiger Lappen, der die scheußlichen Geräusche aufsaugte und irgendwo wieder aus sich herausdrückte, vielleicht über einem Fluss, der sie davontrug. Der Tag war nicht zum Wachsein gedacht, und die Nacht nicht zum Schlafen. Es war alles eine Art langer Halbschlaf, und sie war nicht sicher, ob die Bilder in ihrem Kopf und die Stimmen, die sie hörte, aus dem Fernseher stammten oder zu den Leuten gehörten, die auf die Station kamen und wieder gingen. Vielleicht waren sie ja auch nur Geschichten, die sie sich selbst erzählte. Was spielte das überhaupt für eine Rolle?
Aber die Nächte waren gut. Die Lichter wurden weich, die Geräusche sanfter, und die scharfen Ränder der Dinge rundeten sich. Wenn es nach Michelle Doyce gegangen wäre, hätte ihr Leben bis in alle Ewigkeit so weitergehen können, warm und sicher, im Schlaf wie im Wachzustand.
Aus der Dunkelheit kamen Stimmen. Sie waren Teil ihres Traums. Gerade noch war sie auf einer Straße gegangen, und dann hatte sie sich wieder irgendwo drinnen befunden, an einem Ort, der ihr vertraut erschien. Sie machte Tee. Sie füllte den Kessel und stellte Tassen und Untertassen bereit. Ein Bär und ein Hund mit Knopfaugen saßen am Tisch.
»Michelle«, sagte die leise Stimme in der Dunkelheit, »Michelle Doyce.«
Da waren zwei Gestalten in der schwarzen Nacht. Zwei dunkle Gestalten, die sich schwarz von der Dunkelheit abhoben, bewegten sich um ihr Bett.
»Michelle«, sagte eine andere Stimme direkt neben ihrem Ohr. Ein Zischen, ein Flüstern, aber heller. Das vorher war ein Mann gewesen. Diese Stimme gehörte einer Frau.
»Ist sie das?«
Michelle Doyce wusste nicht, ob ihre Augen offen oder geschlossen waren, aber sie sah ein winziges Licht, ein Glühwürmchen, am Fußende ihres Bettes in der Dunkelheit schweben. Es beleuchtete ein geisterhaftes Gesicht, ein Männergesicht.
Michelle Doyce öffnete den Mund. Sie wollte etwas sagen, aber es kam nur ein Ächzen heraus, und dann verstummte auch das. Etwas ließ dieses Ächzen verstummen. Die Schwärze war noch schwärzer geworden. Michelle gab keinen Laut mehr von sich. Sie war nicht mehr in der Lage, einen Laut von sich zu geben. Ein Gewicht lastete auf ihr, schwer und schwarz, und sie spürte, wie sie darunter versank, hinab in einen Traum, der seinerseits ebenfalls schwarz wurde, so dass sie aus dem Traum auch wieder herausfiel und immer tiefer schwand und sank.
Alles veränderte sich. Lichter blitzten auf – so grell, dass sie ihr wie schrille Geräusche vorkamen und sie nichts mehr sehen und hören konnte. Da waren die Lichter, und da war Geschrei, und auf einmal konnte sie auch wieder schreien und atmen. Sie war tief, tief unter Wasser gewesen, doch nun war sie herausgezogen worden und lag am Ufer. Sie rang nach Luft. Aber nein, es ging nicht. Es war, als könnte sie die Luft nicht in sich hineinsaugen. Ihre Atmung funktionierte nicht, sie bekam die Luft nicht hinein. Voller Panik begann sie zu zappeln und zu schreien. Sie zappelte wie ein Fisch an Land, der in der Luft ertrank.
Dann spürte sie plötzlich eine kühle Hand an der Schläfe, und aus dem blendenden Licht sprach eine Stimme zu ihr. Sie spürte Atem auf ihrem Gesicht, frischen, kühlen Atem.
»Michelle«, sagte die Stimme, sanft und nahe. »Michelle. Ist schon gut. Beruhigen Sie sich. Ihnen fehlt nichts.«
Die Stimme klang, als wollte sie ihr eine Geschichte erzählen, eine beruhigende Gutenachtgeschichte. Michelle spürte den kühlen Atem auf ihrem Gesicht, spürte, dass sie wieder Luft bekam. Es war, als könnte sie den kühlen Atem einatmen – als würde er direkt in sie hineinströmen.
»Michelle, Michelle«, sagte die Stimme.
Michelle Doyce schlug die Augen auf. Das Licht blendete sie so, dass sie für einen Moment außer blauen und gelben Pünktchen nichts sehen konnte. Langsam aber nahm ein Gesicht Gestalt an.
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