Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
gingen einfach wieder. Andere kamen langsam immer näher und gaben sich dabei betont lässig, als hätten sie überhaupt kein Problem damit. Diese Dame war schätzungsweise Ende vierzig, vielleicht auch älter. Schick, aber dezent gekleidet, wirkte sie wie eine berufstätige Frau auf dem Heimweg. Sie trug alte Werktagsschuhe, die aber auf Hochglanz poliert waren. Wie ein Verbrechensopfer sah sie nicht aus. Sie brauchte mehrere Minuten, bis sie schließlich vor der Pforte stand und durch das Sicherheitsgitter spähte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Beamtin.
»Es geht um meinen Nachbarn«, antwortete die Frau. »Den Mann, der über mir wohnt.«
»Was hat er getan?«
»Er ist verschwunden.«
Die Beamtin bemühte sich um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck und setzte zu der Erklärung an, die sie jede Woche ein- bis zweimal vom Stapel ließ: Wie oft es doch vorkomme, dass jemand sich ohne Grund davonmache, und dass mit ziemlicher Sicherheit kein Anlass zur Sorge bestehe.
»Nein«, widersprach die Frau. »Ich habe einen Schlüssel. Ich füttere die Katze, wenn er nicht da ist, und gieße seine Pflanzen. Ich habe nachgesehen. Die Post stapelt sich auf der Fußmatte. Das ganze Essen im Kühlschrank ist schon verdorben. In der Schale für den Kater war kein Futter. Der Kater selbst war Gott sei Dank nicht da. Er kann durch eine Katzenklappe ein und aus, und über eine Art Mauervorsprung gelangt er hinunter auf das Dach des Fahrradschuppens im Vorgarten des Nachbarhauses. Es muss etwas passiert sein.«
Die Beamtin an der Pforte seufzte. »Es handelt sich um einen erwachsenen Mann?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete die Frau. »Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich. Was können Sie da unternehmen?«
Die Beamtin ging zu einem Aktenschrank. Nachdem sie die erste Schublade wieder hineingeschoben und eine andere herausgezogen hatte, kehrte sie mit einem Formular zurück.
»Wir füllen jetzt dieses Blatt hier aus«, erklärte sie. »Anschließend geben wir die Daten in den Computer ein, und wenn sein Name irgendwo verzeichnet ist, taucht er hier auf dem Bildschirm auf.«
»Wollen Sie denn nicht nach ihm suchen?«
»Das ist die normale Vorgehensweise«, entgegnete die Beamtin, »es sei denn, es handelt sich um einen Notfall.«
»Ich glaube, das ist ein Notfall.«
»In der Regel tauchen sie wieder auf«, erklärte die Beamtin in beruhigendem Ton. »Aber lassen Sie uns mit dem Formular beginnen. Wie lautet denn sein Name?«
»Bob«, sagte die Frau. »Ich meine, Robert. Robert Poole.«
17
V on der Haltestelle Gloucester ging Frieda zu Fuß. Winzige Schneeflöckchen verfingen sich in ihrem Haar und schmolzen auf der Straße. Sie hatte gedacht, mit dem ganzen Schnee wäre es nun vorbei, und die bittere Kälte würde endlich nachlassen. Vielleicht war es ja nur ein letztes Aufbäumen, als wollte der Winter sich noch einmal in Erinnerung bringen.
Sie traf frühzeitig an der Kirche ein, eilte schnell an den Fotografen und Journalisten vorüber, die sich bereits vor dem Eingang versammelt hatten, und setzte sich auf einen Platz weit hinten, gleich neben der Wand. Allmählich schoben sich immer mehr Menschen in die Bänke. Während sie ihre Hüte, Handschuhe und dicken Mäntel ablegten, hielten sie nach Bekannten Ausschau, denen sie dann mit einer Mischung aus Wiedersehensfreude und verlegenem Ernst zunickten. Ein Pulk aus jungen Leuten traf ein, die Wangen von der Kälte gerötet. Frieda nahm an, dass es sich um Studienkollegen von Kathy handelte. Sie griff nach dem Faltblatt mit den Liedern und überflog die Titel, die sie singen sollten. Die Kirche füllte sich immer mehr. Am Ende mussten sich die Leute in bereits volle Bänke quetschen oder hinten stehen. Ein älteres Paar schritt langsam durch den Mittelgang nach vorn. Die Frau stützte sich auf den Arm des Mannes. Kathys Großeltern, nahm Frieda an. Einen Mann, der in einem kamelhaarfarbenen Mantel an ihrer Reihe vorüberging, erkannte sie als Seth Boundy wieder. Kathy Ripon hatte bei ihm studiert und zu seinem Forschungsteam gehört. Im Grunde hatte er sie in den Tod geschickt. Er – und Frieda.
Sein unruhiger, schlurfender Gang unterschied sich sehr von dem würdevollen Schreiten, an das Frieda sich erinnerte. Er hielt den Kopf gesenkt und hatte den Mantelkragen hochgeklappt, als wollte er sich verstecken. Vielleicht aber spürte er Friedas Blick auf seinem Rücken, denn plötzlich drehte er sich um und sah kurz zu ihr nach hinten. Dann wandte er
Weitere Kostenlose Bücher