Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
sich wieder ab und ging weiter. Zuletzt traf Kathys Familie ein: ihre Eltern, die Hand in Hand gingen, und hinter ihnen zwei ordentlich frisierte, vom Rasieren rotgesichtige junge Männer, die sich in ihren schwarzen Anzügen sichtlich unwohl fühlten.
Der Sarg wurde von Angestellten des Bestattungsinstituts getragen, jungen Männern mit professioneller Trauermiene. Frieda stellte sich die aufgequollenen sterblichen Überreste vor, die sich in diesem Sarg befanden, und dann das kluge, sympathische Gesicht der jungen Frau. Während die Trauergemeinde »Der Herr ist mein Hirte« sang, musste sie – wie jeden Tag in den letzten vierzehn Monaten – daran denken, dass Kathy noch leben würde, wenn sie, Frieda, nicht gewesen wäre, so dass Kathys Eltern nun nicht mit hängenden Schultern in der Kirchenbank sitzen müssten, blass und vorzeitig gealtert. Ein Kind wäre tot, aber Kathy noch am Leben. Eine junge Frau mit einem langen, traurigen Gesicht ging nach vorn und spielte eine Melodie auf der Flöte. Einer von Kathys Brüdern las ein Gedicht vor, schaffte es aber nicht bis zum Ende. Während er vor ihnen stand und krampfhaft nach Fassung rang, beugten sich alle voller Mitgefühl vor, als könnten sie ihn auf diese Weise zum Weiterlesen bewegen. Vielen liefen dabei Tränen über die Wangen. Der Pfarrer erhob sich und sagte ein paar Worte darüber, dass ein junges Leben ein grausam jähes Ende gefunden habe, die Eltern nun aber endlich ihre Tochter beerdigen könnten. Er sprach von einem gnädigen Gott und dem Triumph von Gut über Böse, von Liebe über Hass. Frieda schloss die Augen, betete aber nicht.
Schließlich war es vorüber. Der Sarg wurde langsam nach draußen getragen, wo immer noch lockerer Schnee fiel, und Kathys Familie folgte ihm. Frieda wartete, bis die meisten der Trauernden die Kirche verlassen hatten. Erst dann glitt sie aus ihrer Bank und stellte sich vor Seth Boundy. »Ich finde es gut, dass Sie gekommen sind«, sagte sie.
»Sie war schließlich meine Studentin.« Er sah sie einen Moment an, senkte dann den Kopf und starrte auf den Steinboden hinunter.
Allmählich begann der Schnee auf den Grabsteinen und den Dächern der draußen parkenden Autos liegen zu bleiben. Überall standen Leute herum und umarmten einander. Frieda hatte nicht vor, zum Leichenschmaus zu bleiben. Kurz vor dem Tor streifte sie einen großen Mann.
»Hallo, Frieda«, sagte Karlsson.
»Sie haben gar nicht erwähnt, dass Sie herfahren würden.«
»Sie auch nicht.«
»Ich musste. Sie ist meinetwegen gestorben.«
»Sie ist wegen Dean gestorben.«
»Fahren Sie mit dem Zug zurück?«
»Nein, auf mich wartet ein Wagen. Sollen wir Sie mitnehmen?«
Frieda überlegte kurz. »Ich würde lieber alleine nach Hause fahren.«
»Natürlich. Vielleicht interessiert es Sie, dass ein Robert Poole als vermisst gemeldet wurde.«
Angesichts von Friedas überraschter Miene musste Karlsson lächeln. Einen Augenblick wirkte sein Gesicht viel weicher als sonst. »Von wem?«, wollte Frieda wissen.
»Einer Nachbarin. Sie wohnt ein Stockwerk tiefer. In einem Haus unten in Tooting.«
»Was um alles in der Welt tun Sie dann hier?«, fragte sie. »Warum sind Sie nicht in Tooting und nehmen seine Wohnung auseinander?«
»Yvette ist heute dort. Sie macht das auch sehr gut.«
»Natürlich.«
»Aber Sie hätten heute Zeit?«
Frieda zögerte. »Vielleicht.«
»Ist das ein Ja?«
»Es ist ein Vielleicht. Das alles hier …«, sie deutete auf die Kirche und die Trauernden hinter ihnen, »… das weckt in mir eher den Wunsch, mich nicht mehr in die Arbeit der Polizei hineinziehen zu lassen. Nie wieder.«
»Es wird nicht besser«, klärte Karlsson sie auf, »es sei denn, man stumpft irgendwann ab. Ich rufe Sie an.«
Die Fahrt nach London dauerte zwei Stunden. Frieda wäre durchaus noch rechtzeitig zu ihrer nachmittäglichen Sitzung mit Gerald Mayhew gekommen, einem älteren und sehr reichen amerikanischen Bankier, der, als er eines Morgens aufwachte, aus unerfindlichen Gründen von einer heftigen Trauer um seine längst verstorbenen Eltern übermannt wurde. Aber Frieda hatte an diesem Tag all ihren Patienten abgesagt. In Paddington angekommen, fuhr sie mit der Bakerloo Line bis zur Haltestelle Elephant and Castle, von wo sie durch Matsch und Eisregen bis zu einem Block mit Sozialwohnungen in der New Kent Road stapfte. Es war ein graues, tristes Gebäude mit Metallgittern über den Fenstern im Erdgeschoss und einem baumlosen Hof, wo ein einzelnes
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