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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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die Uhr auf sie aufpassen.«
    »Sie wird also in ihr altes Zimmer zurückgehen«, sagte Michael und rieb sich geistesabwesend die linke Schulter. »Vielleicht tut ihr das gut.«
    »Ihr altes Zimmer ist oben, das weißt du doch«, sagte sie und lachte wehmütig. »Es wäre viel zu schwierig gewesen, alles nach oben zu schaffen, also haben wir stattdessen das Familienzimmer umgeräumt.«
    »Ach, richtig. Das klingt logisch«, sagte er. Ein statisches Rauschen unterbrach die Verbindung. Er versuchte sich darüber klarzuwerden, was er von der Sache hielt. War es eine gute Idee oder eher ein Akt der Verzweiflung? Selbst wenn ständig eine Krankenschwester anwesend sein würde, wie sollten ihre Eltern und Karen ihre Genesung überwachen können?
    Eine Genesung, die laut Aussage der Ärzte unmöglich war.
    Gott weiß, wie sehr er versucht hatte, an eine Heilung zu glauben. Die ganze lange, kalte Nacht in den Kaskaden und den Großteil des nächsten Tages hatte er sich gezwungen, optimistisch zu sein. Er hatte sich eingeredet, dass sie wieder aufwachen und auf die Beine kommen würde, sobald er sie den Berg heruntergebracht hatte. Bei Tagesanbruch war er aus dem Schlafsack
gekrochen, den er mit ihr geteilt hatte, und hatte sich die Hände und Füße so gut es ging warm gerieben. Am Oberschenkel hatte er einen großen roten Fleck, weil er auf einem Karabiner gelegen hatte, und seine linke Schulter tat immer noch weh. Er wickelte einen weiteren Kraftriegel aus und schlang ihn herunter. Als er in den dämmrigen Morgenhimmel aufschaute, sah er ein brummendes Privatflugzeug über sich hinwegfliegen. Egal, ob es etwas nützte, winkte er mit beiden Armen, schrie und blies sogar in die Pfeife, doch das Flugzeug ging nicht in die Schräglage, als Zeichen, dass man ihn gesehen hatte, und kehrte auch nicht noch einmal zurück. Es verschwand im Westen, und bald darauf waren die Schreie der Vögel und das Rauschen des Windes die einzigen Geräusche.
    Kristin hatte auf keine Weise auf die Pfiffe oder seine Rufe reagiert. Er beugte sich über sie, tastete nach ihrem Puls und überprüfte ihre Atmung. Beides war schwach, aber regelmäßig. Er hatte zwei Alternativen. Er konnte hier warten und darauf hoffen, dass andere Bergsteiger sie finden würden, oder er konnte versuchen, sie allein vom Berg herunterzubringen. Er warf einen Blick auf den Horizont. Wolken zogen auf, und wenn sie Nebel oder Regen mit sich brachten, würde heute niemand in die Berge gehen. Er müsste es alleine machen, mit einem ausgeklügelten System aus Seilen und notdürftig zurechtgebastelten Flaschenzügen. Er konnte Kristin vielleicht zehn oder fünfzehn Meter am Stück herunterlassen, sich dann selbst abseilen, das Seil abziehen und wieder von vorn anfangen. Wenn er es weit genug nach unten schaffte, würde er möglicherweise auf Wanderer treffen. Vielleicht käme er sogar dicht genug an den Big Lake heran, so dass Leute in ihren Booten seine Notfallpfeife hörten, vorausgesetzt, der Wind stand günstig.
    Er sammelte die Ausrüstung zusammen, die nicht vom Felsen gefallen oder aus dem Rucksack geschleudert worden war, und entwarf einen Plan. Etwa acht Meter unter ihnen befand sich
ein weiterer Felsvorsprung, nicht breiter als ein Bügelbrett, und er glaubte, dass er Kristin dort hinuntermanövrieren konnte. Er wusste, dass er mit ihrem Kopf und Hals vorsichtig sein musste, aber ihm fiel beim besten Willen nicht ein, wie er sie hätte stabilisieren können. Er musste es einfach riskieren.
    Es dauerte fast eine Stunde, ein Tragesystem zu knüpfen und Kristins schlaffen Körper daran festzubinden. Eine weitere Stunde brauchte er, um sie beide auf den nächsten Felsvorsprung zu bringen. Mittlerweile war er völlig durchgeschwitzt und mit Kratzern und Schnitten übersäht. Er hockte auf dem schmalen Vorsprung, die Wasserflasche in der einen Hand, die andere auf Kristins Bein. Er wünschte, sie würde ihr Bewusstsein wiedererlangen, mit ihm sprechen, und sei es nur für ein paar Sekunden. Er trank den letzten Schluck Wasser. Ein paar Steine, die sich beim Abstieg gelockert hatten, fielen auf ihren unsicheren Pausenplatz.
    Die dunklen Wolken kamen näher.
    Er blickte nach unten, auf die Wipfel der Pinien und den Big Lake und wusste, dass es so nicht funktionieren konnte. Es dauerte zu lange, und er wagte es nicht, noch eine weitere Nacht mit ihr in den Bergen zu verbringen. Also beschloss er, alles auf eine Karte zu setzen. Er legte jedes überflüssige Gramm der

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