Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
Vom Netzwerk:
›Go!‹.«
    Das würde er sich gerade noch merken können.
    »Und wenn du willst, dass sie langsamer werden, ziehst du an den Leinen und rufst: »Easy!«
    Michael hatte keine Ahnung, wie schnell sie tatsächlich waren, aber es kam ihm unglaublich schnell vor. Während er sich an die gummierten Handgriffe klammerte, flog die Eislandschaft zu beiden Seiten an ihm vorbei. Als er zusammengekauert auf der Ladefläche gesessen hatte, war es ganz anders gewesen. Er war warm eingepackt und geschützt gewesen, und er hatte nur wenige Zentimeter über dem Boden geschwebt. Doch jetzt stand er aufrecht, so dass der Wind ihm voll ins Gesicht blies. Die Ärmel flatterten, und das Geräusch erinnerte ihn an die knatternde Fahne in Point Adélie. Es war anstrengend und aufregend zugleich. Eine Wolke aus Eiskristallen, aufgewirbelt von den Pfoten der rennenden Hunde, brannte auf seinen Lippen und klatschte wie Regen gegen seine Brille. Vorsichtig hob er eine Hand, wischte die Kristalle fort und packte erneut den Handgriff.
    Mit der Zeit jedoch entwickelte er ein Gefühl für das Gespann
und gewöhnte sich an die schaukelnden Schlittenbewegungen. Langsam begann er sich zu entspannen und wagte es, über die buschigen Köpfe und Schwänze der Tiere hinaus in die Ferne zu blicken. Die Station war immer noch zu weit entfernt, als dass er sie hätte sehen können, aber das war auch gut so. Stattdessen sah er einen grenzenlosen Kontinent aus Eis, Schnee und Permafrostboden. Michael wusste, dass die Antarktis größer war als Australien und so öde, dass im Vergleich dazu die riesigen Outbacks Australiens regelrecht übervölkert wirkten. Der Schlitten fuhr an der Küstenlinie entlang, an der es vergleichsweise vor Leben wimmelte. Doch nur ein paar Meilen weiter landeinwärts tollten keine Robben ausgelassen herum und flogen keine Vögel am Himmel. Selbst die genügsamen Flechten waren verschwunden. Es war eine Wüste, ohne jedes Leben, tatsächlich so lebensfeindlich wie kein anderer Ort auf dem Planeten. Die Menschen hatten einen Weg gefunden, den Südpol zu erreichen, sie konnten über ihn hinwegfliegen, eine Flagge hissen und Messungen vornehmen, aber sie konnten ihn nie wirklich für sich beanspruchen. Niemand konnte hier auf Dauer leben, und nur ein Verrückter würde das überhaupt wollen.
    Die kupferfarbene Sonne hing wie eine Taschenuhr am leeren Himmel. Zeit war für Michael ebenso ungewiss geworden wie für jeden anderen in der Antarktis. Fast die Hälfte seiner Zeit hatte er hinter sich, aber die Tage flossen ineinander wie ein stetiger Strom. Er musste ständig auf die Uhr sehen, doch selbst dann konnte er nicht immer sagen, ob es vormittags oder abends war. Einige Male war er durcheinander geraten, und gelegentlich musste er den Verdunkelungsvorhang um seine Koje zurückziehen, hinaus in den Flur taumeln und sich von der ersten Person, die er traf, bestätigen lassen, ob es Tag oder Nacht war. Einmal war er dabei auf das »Gespenst«, den Botaniker Ackerley, gestoßen, der selten außerhalb seines Blumenladens, wie die Hiwis sein Labor nannten, anzutreffen war. Zusammen hatten sie beschlossen,
dass es Nachmittag sein müsste, bis sich herausstellte, dass es mitten in der Nacht war. Sie waren in den Gemeinschaftsraum gegangen und hatten überrascht festgestellt, dass er ganz leer war. Da hatte sich Michael Ackerley genauer angeschaut und die verräterischen Anzeichen des Großen Auges entdeckt, den glasigen, starren Blick und einen schlaffen, seltsam verträumten Gesichtsausdruck.
    Ab da hatte er begonnen, seinen eigenen Schlafrhythmus mit Noctamid oder Lendormin zu regulieren, was auch immer die gute Dr.Barnes ihm für die Nacht verschrieb.
    »Es gibt eine alte Redensart«, riet sie ihm. »Wenn eine Person dir sagt, dass du müde aussiehst, mach dir keine Sorgen. Aber wenn du das von zwei Leuten hörst, leg dich schlafen.«
    »Was willst du damit andeuten?«
    »Leg dich schlafen … und lass es etwas ruhiger angehen.«
    Michael fotografierte einfach alles, machte sich endlose Notizen in seinem Tagebuch und versuchte, alle möglichen Fertigkeiten zu erlernen, vom Iglubau bis zum Hundeschlittenführen. Er wusste, dass seine Zeit in Point Adélie begrenzt war, und er wollte nichts übersehen. Silvester würde das Versorgungsflugzeug ihn wieder fortbringen, und er wollte nicht in Tacoma sitzen und sich fragen, warum er zum Beispiel keine Aufnahmen vom Inneren der alten norwegischen Kirche gemacht hatte, oder warum er das Rätsel

Weitere Kostenlose Bücher