Eisiges Blut
das Tosen des Windes alles andere. Er peitschte um sie herum und riss Darryl beinahe um. Michael packte ihn an der Schulter, um ihn festzuhalten, und half ihm dann, die Ausrüstung hineinzutragen. Allein die Tür hinter ihnen wieder zuzumachen war ein Kampf, die Windböen drohten, sie aus den Angeln zu reißen.
»Herrje!«, sagte Michael, ließ sich schwer auf eine Holzbank fallen und schob die Kapuze mit dem Fausthandschuh zurück. In der Hütte mit dem klaffenden Loch in der Mitte war es nicht sehr viel wärmer als draußen, aber zumindest waren sie hier vor dem Wind geschützt. Darryl schaltete die Heizstrahler an, und sie blieben ein paar Minuten zitternd sitzen, ehe sie versuchten,
irgendetwas anzupacken. Als die Heizstrahler richtig arbeiteten, stieg ein feiner Nebel vom Wasser auf und legte sich wie ein Leichentuch über das Tauchloch.
»Das Loch ist vom Eis verstopft«, stellte Michael fest. »Wir werden es erst aufbrechen müssen, ehe wir irgendetwas ins Wasser lassen können.«
»Was meinst du, warum ich dich gebeten habe, mitzukommen?«, sagte Darryl, während er versuchte, seine Netze und Fallen an einem langen Seil zu befestigen, ohne dafür die Handschuhe auszuziehen.
»Ich hätte es wissen müssen.« Michael besah sich die Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände, die in den Regalen und auf den Bodenbrettern lagen. Eissägen, Stahlkabel, Harpunenbüchsen. Am geeignetsten erschien ihm ein scharfkantiger Spaten, doch er konnte ihn unmöglich festhalten, ohne seine Handschuhe auszuziehen. Widerwillig streifte er die Fäustlinge ab. Darunter trug er noch ein Paar Fingerhandschuhe, die immerhin dünn genug waren, damit er seine Hand durch den Griff des Spatens bekam.
Das mit einer festen Eisschicht bedeckte Wasser lag knapp einen Meter unter ihm. Es war eine unangenehme Arbeit, mit der Spatenspitze gegen das Eis zu hacken, die Schaufel ein Stück anzuheben und sie erneut hinunterzustoßen. Es erinnerte Michael unweigerlich daran, wie er als Kind nach einem großen Schneesturm die Einfahrt freigeschaufelt hatte. Sein Vater hatte ihm immer wieder gesagt, hinauszugehen und es sofort zu erledigen – »es wird nicht leichter, wenn der Schnee erst überfroren ist«. Michael erinnerte sich noch gut an den eigenartigen Schmerz, der seinen rechten Arm hochschoss, als er seine Schaufel schwungvoll in etwas hineinstieß, das aussah wie ein Haufen Schnee, sich aber als ein harter Klumpen Eis entpuppte. Ein Schauder war ihm den Rücken hinuntergelaufen, selbst seine Zähne hatten wehgetan. Jetzt erlebte er diesen Schmerz erneut, und die Schulter, die er sich in den Kaskaden ausgerenkt hatte, machte sich bemerkbar.
Endlich hatte er das Eis im Tauchloch zu einem matschigen Brei zerschlagen, doch er wusste, dass es rasch wieder zusammenfrieren würde.
»Bist du fertig?«, fragte Michael und spürte, wie ihm der Schweiß in kleinen Bächen über den Rücken rann.
»Gleich … geschafft«, antwortete Darryl und probierte die Klemme an einer Falle aus, die wie eine Sanduhr geformt war. Das Seil sah aus wie ein überdimensioniertes Bettelarmband. In regelmäßigen Abständen waren Netze und Köder daran befestigt, und es war um eine Winde gewickelt wie um den Arm eines Riesen. Darryl kroch auf den Knien auf das Loch zu und beugte sich am Rand vor, um das beschwerte Ende der Leine ins Wasser zu lassen.
»Ich brauche eine Lücke«, sagte er, und Michael schob den Eismatsch mit dem Spaten zur Seite. Darryl führte die Leine in das Loch, und das Gewicht zog sie direkt nach unten. Das Seil wickelte sich von der summenden Winde ab, sank tiefer und nahm mehrere von Darryls Fallen mit in die Tiefen des Polarmeeres.
Michael benutzte den Spaten, um die Eisstücke wegzuschieben, bis er ihm plötzlich auf geheimnisvolle Weise aus der Hand gerissen wurde und gleich einem Baumstamm in einer Wasserrinne durch das Eisloch ratterte.
»Was zum Teufel war das denn?«
Darryl lachte. »Murphy wird sie dir berechnen.«
Michael begann ebenfalls zu lachen, doch dann stürzte Darryl kopfüber in das Loch. Michael dachte, er müsste sich irgendwie am Seil verhakt haben, und stellte instinktiv seinen Fuß darauf, damit es nicht weiter ins Wasser gezogen wurde. Doch das Seil brannte unter seinen Gummisohlen und lief weiter ab.
Aber es lag ohnehin nicht am Seil.
Eine große, kräftige, kobaltblaue Hand langte unter den Bodenbrettern der Hütte hervor und kämpfte mit dem Kragen von Darryls Parka. Darryl trat wild mit den Beinen um sich. Ein
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