Eisiges Blut
äußere Quellen wärmen. Wie zum Beispiel eine Schlange, die in der Sonne liegt.«
Charlotte erschauderte bei diesem Gedanken.
»Die zweite Nebenwirkung stellt eine unmittelbare Bedrohung dar.«
»Noch schlimmer?«
»Das musst du entscheiden.« Darryl nahm einen sauberen Objektträger, rieb ihn kräftig an der trockenen Haut von Charlottes Handrücken und legte ihn unter das Mikroskop. Die lebenden und toten Hautzellen erschienen auf dem Monitor. Dann fügte er einen Tropfen AFGP - 5 hinzu. Nichts geschah, es war ein Bild friedlicher Koexistenz.
»Ist das ein gutes Zeichen?«, fragte Charlotte und schaute zu Darryl hinüber.
Er hielt einen Eiswürfel zwischen zwei Fingern. Der kleine Finger war abgespreizt. Vorsichtig berührt er den Objektträger mit dem Eis und sagte: »Sieh auf den magischen Monitor!«
Auf dem Bildschirm sah die winzigste Ecke des Eiswürfels aus wie ein Eisberg, der auf der Stelle das halbe Bild ausfüllte. Darryl nahm ihn rasch wieder zurück, doch der Schaden war bereits eingetreten. Wie ein Windhauch auf einem ruhigen Tümpel, bildeten sich Millionen winziger Risse auf der Oberfläche der Glasscheibe. Sie erfassten jede Hautzelle und strahlten in alle Richtungen aus, bis schließlich jede Bewegung zum Erliegen gekommen war. Was sich wenige Sekunden zuvor noch bewegt hatte, war jetzt vollkommen erstarrt. Erfroren. Tot.
»Wie du siehst, ist alles vorbei, sobald das Gewebe direkt mit Eis in Berührung kommt.«
»Ich dachte, das AFGP - 5 soll genau das verhindern.«
»Es verhindert, dass Eiskristalle sich im Blutkreislauf ausbreiten, aber nicht, dass sie sich mit Hautzellen verbinden«, erklärte Darryl. »Deshalb bleiben Eisfische immer unterhalb der Eiskappen.«
»Eleanor dürfte kein Problem damit haben«, sagte Charlotte.
»Aber kann sie sicherstellen, wirklich absolut sicher, dass sie niemals Eis in irgendeiner Form berühren wird? Dass sie niemals
einen eisgekühlten Drink nimmt und den Eiswürfel auf der Zunge zergehen lässt? Dass sie niemals im Winter ausrutscht und sich mit der bloßen Hand auf dem Eis abstützt? Dass sie niemals in Gedanken versunken ins Gefrierfach greift, um eine Tüte mit tief gefrorenem Gemüse herauszuholen?«
»Und wenn sie es täte?«
»Sie würde schockgefroren werden und wie Glas zerspringen.«
50 . Kapitel 25 .Dezember, 13 : 15 Uhr
Michael hatte Eleanor in so viele Schichten gepackt, dass selbst ihre eigene Mutter sie nicht wiedererkannt hätte. Sie war nur noch ein Kleiderbündel, das sich langsam über den gefrorenen Platz bewegte. Michael hielt in alle Richtungen Ausschau, aber niemand war zu sehen. So war es, wenn man in der Antarktis spazieren ging: nicht einmal zu Weihnachten begegnete man vielen anderen Fußgängern. Als sie am alten Fleischlager vorbeikamen, drängte er sie, sich zu beeilen, ebenso bei Tina und Bettys glaziologischem Labor. Im Eiskernlager hörte er das Brummen einer Säge. Eleanor warf ihm einen neugierigen Blick zu, doch er schüttelte nur den Kopf und zog sie rasch weiter. Im meeresbiologischen Labor war noch Licht, ein gutes Zeichen. Michael hoffte, dass Darryl hart arbeitete, um eine Lösung für Eleanors und Sinclairs Problem zu finden.
In der Ferne, abgelegen von den meisten anderen Gebäuden, lag ihr Ziel, und er führte Eleanor hin. Sie erreichten den hölzernen Zaun und stiegen die Rampe empor. Selbst unter all den Kleiderschichten zitterte Eleanor.
Michael öffnete die Tür, teilte den Plastikvorhang dahinter und führte sie in das eigentliche botanische Labor. Heiße, feuchte Luft empfing sie, und Eleanor schnappte überrascht nach Luft. Er zog sie weiter hinein und half ihr, den Mantel auszuziehen sowie Mütze und Handschuhe abzulegen. Das offene Haar fiel ihr über
die Schultern, und ihre Wangen hatten erfreulicherweise etwas Farbe bekommen. Die grünen Augen strahlten.
Er legte seine eigene Winterkleidung ab und sagte: »Hier werden alle möglichen Pflanzen erforscht, einheimische, soweit es welche gibt, und fremde. Für jede Art von Laborarbeit ist die Luft in der Antarktis die sauberste auf dem ganzen Planeten.« Er wischte das lange Haar fort, das an seiner Stirn klebte. »Aber so wie sich die Dinge entwickeln, ist es damit auch bald vorbei.«
Eleanor war bereits losgegangen, angezogen vom Duft der dicken Erdbeeren, die an den Rankgittern reiften. Diese wiederum hingen an den Bewässerungsrohren, die die ganze Decke überzogen. Die grünen Blätter mit den gezackten Rändern waren dicht mit
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