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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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gelöst, und sie schob es wieder unter die Kopfbedeckung. Wenn Miss Nightingale aus ihren Räumen im obersten Stock herunterkäme und ihre Krankenschwester so zerzaust vorfände, wäre sie gar nicht erfreut. So liebevoll sie sich auch um ihre Patientinnen sorgte, Miss Nightingale war jemand, von dem man sich besser nicht tadeln ließ.
    Eleanor drehte die Gaslampe herunter und ging hinaus auf den Flur. Miss Nightingale glaubte fest an die stärkende Kraft des Sonnenlichts, und so gab es im obersten Stock des Spitals eine Sonnenliegehalle. Eleanor wollte gerade nach oben gehen und dort aufräumen, als sie zufällig zur Eingangstür schaute. Durch die Glasscheiben sah sie eine Kutsche direkt vor der Treppe anhalten. Während sie hinaussah, stiegen drei Männer aus dem Wagen und erklommen zu ihrer Überraschung die Stufen. Wussten sie
denn nicht, dass Besuche nur während der Nachmittagsstunden gestattet waren?
    Offensichtlich wussten sie es nicht, denn noch während sie eilte, um ihnen zuvorzukommen, damit ihre Patientinnen nicht unnötig geweckt würden, ertönte die Glocke, und fast im selben Moment hämmerte eine Faust gegen die hölzernen Teile der Tür. Sie sah ein Gesicht mit Backenbart und Koteletten hineinspähen und hörte eine Stimme rufen: »Hilfe! Können Sie uns bitte helfen?«
    Gerade als die Faust ein weiteres Mal gehoben wurde, entriegelte Eleanor die Tür und öffnete sie. Ein großer Mann mit rotem Gesicht, derjenige, der um Hilfe gebeten hatte, sah plötzlich verlegen aus und sagte: »Bitte verzeihen Sie unser Eindringen, Miss, aber unser Kamerad muss behandelt werden.« Dieser Kamerad, der gleichfalls in einer roten Kavallerieuniform steckte, hielt eine Hand an seinen Arm gepresst, während der dritte Soldat ihn am Ellenbogen festhielt, als müsste er ihn stützen.
    »Dies ist ein Hospital für Frauen«, erklärte Eleanor, »und es tut mir leid … «
    »Das wissen wir«, unterbrach der rotgesichtige Mann sie, »aber es handelt sich um einen Notfall, und wir wussten nicht, wohin wir uns sonst wenden sollten.«
    Aus einer Wunde am Arm des blonden Soldaten sickerte Blut, und plötzlich kam ihr der Mann bekannt vor. War das nicht derselbe Gentleman, der sie ein paar Stunden zuvor angestarrt hatte, als sie die Fenster geschlossen hatte?
    »Wir haben keinen Arzt im Haus«, sagte sie. »Und vor morgen früh wird auch keiner kommen.«
    Der große Mann blickte zu seinen Kameraden, die ein paar Stufen unter ihm standen, als sei er unsicher, was sie als Nächstes von ihm erwarteten. Der verwundete Mann sagte: »Ich bin Lieutenant Sinclair Copley. Ich wurde verletzt, als ich einer Frau half, einen Angreifer abzuwehren.«
    Eleanor stand unentschlossen auf der Vordertreppe. Was würde Miss Nightingale in diesem Moment von ihr erwarten? Sie wagte es nicht, sie aufzuwecken. Schließlich war sie, Eleanor, die Nachtschwester und somit allein verantwortlich. Und sie hatte das Gefühl, es sei ihre Pflicht, einem verwundeten Mann ihre Hilfe anzubieten.
    »Kurz gesagt«, sagte der Leutnant, »ich bin angeschossen worden und brauche jemanden, der die Wunde versorgt.« Er hatte die Stufen erklommen und sah sie im schwachen Licht der Straßenlaternen beschwörend an. »Können Sie den Arm nicht wenigstens untersuchen und sehen, ob Sie eine Arznei zur Hand haben, bis ich am Morgen einen Wundarzt aufsuchen kann? Wie Sie sehen«, fuhr er fort, nahm seine Hand weg und entblößte den blutgetränkten Ärmel seiner Uniform, »muss die Blutung gestillt werden.«
    Unentschlossen blieb sie an der Tür stehen, bis der große Kerl die Geduld verlor. »Kommen Sie, Copley, Frenchie, ich kenne einen Apotheker in der High Street, der mir noch einen Gefallen schuldet.« Er drehte Eleanor den Rücken zu und polterte die Treppe hinunter, doch der blonde Mann blieb, wo er war. Eleanor hatte den deutlichen Eindruck, und errötete schon bei dem Gedanken daran, dass er ausdrücklich verlangt hatte, hierher gebracht zu werden, damit sie sich um ihn kümmern konnte.
    Sie machte einen Schritt zur Seite und stieß die große Tür auf. »Bitte passen Sie auf und seien Sie leise. Die Patientinnen schlafen.«
    Sie verschloss die Tür hinter ihnen, dann führte sie die Herren durch die große, kühle Halle, in der alle Fenster offen standen, und in das Aufnahmezimmer. Es war eine Mischung aus Salon und Behandlungszimmer, mit Sesseln, quastenbehängten Lampen und einem Schreibtisch im vorderen Bereich. In einem Alkoven im hinteren Teil befand sich eine

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