Eisiges Blut
führte die Damen einen kurzen Korridor entlang in einen Anbau, den der Club hatte errichten lassen, um die wachsende Anzahl Mitglieder unterbringen zu können. Der Raum wurde zur Zeit nicht benutzt, doch ein Diener eilte rasch herbei, um die langen roten Samtvorhänge zuzuziehen und das Licht in den Wandleuchtern zu entzünden. An der einen Wand gab es einen gewaltigen Kamin aus grob behauenen Steinen. Davor standen, überragt von einem ausgestopften Elchkopf, ein paar abgenutzte Ledersessel und Sofas sowie Eichentische.
Die Damen nahmen in einer kleinen Sitzecke unter dem großen Kronleuchter Platz und streckten ihre müden Füße auf dem abgetretenen Orient-Teppich aus.
»Sollen wir ein Feuer machen lassen?«, fragte Sinclair seine Gäste, was jedoch alle ablehnten.
»Guter Gott, als hätten wir heute nicht schon genug geschwitzt«, sagte Rutherford und ließ sich in den Sessel fallen, der Moira am nächsten stand. Moira fächelte ihrem Hals und ihren Schultern mit dem Ascot-Programm immer noch Luft zu. »Ich bete für ein bisschen Regen.«
Während der gesamten Rückfahrt von der Rennbahn hatte ein Gewitter in der Luft gelegen, aber bislang war es noch nicht ausgebrochen. Auch Sinclair schätzte nach der langen, heißen Kutschfahrt die Kühle des Raumes.
Ein paar Diener eilten herbei, und bald darauf war einer der runden Tische mit gelber Damasttischwäsche, glitzerndem Kristall und einem glänzenden silbernen Kerzenleuchter für sechs Personen gedeckt. Als alles angerichtet war, nickte Bentley Sinclair zu, der daraufhin Eleanor rechts und Moira links neben sich platzierte. Frenchie und Dolly, die schließlich ihren Blumenhut abgesetzt und die Kaskade schwarzer Ringellöckchen darunter freigegeben hatte, vervollständigten den Kreis. Dolly war ein hübsches Mädchen, nicht älter als zwanzig oder einundzwanzig,
trug aber eine dicke Schicht Schminke, offenbar um Pockennarben abzudecken.
Kaum war der Champagner ausgeschenkt, hob Sinclair sein Sektglas und verkündete: »Auf Nightingale’s Song – unser nobles Ross und großzügigen Wohltäter!«
»Warum lassen Sie mich nur an Ihren Ahnungen teilhaben, wenn Sie verlieren?«, sagte Frenchie und zwinkerte ihm in Erinnerung an den Hundekampf zu. Sinclair lachte.
»Vielleicht hat sich mein Glück gewendet«, sagte er und neigte sich leicht zu Eleanor hinüber.
»Also, dann viel Glück!«, sagte Rutherford, der langen Worte überdrüssig, und leerte sein Glas in einem Zug.
Eleanor hatte in ihrem Leben erst einmal zuvor Champagner getrunken, als der Bürgermeister der Stadt seine Wahl mit den Bauern und Händlern gefeiert hatte. Aber sie war sicher, dass man ihn eigentlich langsam trinken sollte.
Sie hob ihr Glas, und die kalten Schaumbläschen brachten sie beinahe zum Niesen. Selbst das Glas war kalt, und der Wein, den sie mit der Zunge kostete, war süß und ganz erstaunlich. Sie nahm nur einen kleinen Schluck, dann blickte sie in das Glas mit den aufsteigenden Bläschen. Es erinnerte sie an die Luftblasen, die man manchmal unter dünnem Eis auf dem Fluss sehen konnte. Es hatte fast etwas Hypnotisierendes, und als sie den Blick schließlich abwendete, stellte sie fest, dass Sinclair sich über sie amüsierte.
»Er ist zum Trinken da«, sagte er, »nicht, um darüber nachzusinnen.«
»Hört, hört«, sagte Rutherford und verlangte nach der Flasche, um erst sein eigenes und dann Moiras Glas erneut zu füllen. Er beugte sich sehr weit zu ihr hinüber, als er ihr einschenkte, und Moira lehnte sich in ihrem Sessel zurück, damit er mehr Platz und einen besseren Blick hatte.
Eleanor hatte sich schon oft gefragt, wie es wohl im Inneren eines solch beeindruckenden Clubs aussehen mochte. Was sie jetzt sah, enttäuschte sie. Sie hatte sich eine weit luxuriösere Einrichtung vorgestellt, reich an Vergoldungen und Schnitzereien, feine französische Möbel mit wunderschönen Polstern aus Seide und Satin. Dieser Raum hingegen, so groß er auch sein mochte, wirkte mit seiner hohen Balkendecke eher wie eine behaglich ausgestattete Jagdhütte als wie ein Palast.
Unter Bentleys strenger Aufsicht wurde eine Reihe kalter Speisen aufgetragen. Es gab Kalbszunge, Hammelfleisch in Minzegelee und Ente in Aspik. Die Gentlemen unterhielten ihre Begleiterinnen mit Geschichten über ihre Brigade und ihre Heldentaten. Alle drei gehörten dem 17 . Regiment des Herzogs von Cambridge an, das 1759 ins Leben gerufen worden war und, wie Rutherford stolz verkündete, während er ein
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