Eisiges Blut
Blutkörperchen, Erythrozyten. Die größeren sind Leukozyten, oder weiße Blutkörperchen. Ein paar der winzigen Teile, die du gesehen hast, sind Neutrophile.«
»Gehören die nicht zu den Phagozyten?«, sagte Charlotte. »Sie fressen Bakterien und sterben dann.«
»Genau. Siehst du, ein bisschen was vom Studium ist doch hängengeblieben.«
»Klugscheißer.«
»Aber es gibt viel mehr Neutrophile, als eigentlich da sein dürften«, fuhr Darryl fort.
Er ließ sie die Nachricht verdauen, doch als keiner der beiden die Schlussfolgerung daraus zog, erklärte er schließlich: »Was bedeutet, dass das Blut infiziert wurde, ehe es in die Flasche gelangte.«
»Wie? Durch was?«
»Aus dem Stegreif würde ich sagen, das Blut stammt von einem schwer kranken oder verletzten Menschen. Vielleicht von jemandem mit einer eiternden Wunde.«
Plötzlich begriff Michael, woher der besonders ekelhafte Geruch vom Flascheninhalt herrührte. Bei dem »Wein« handelte es sich nicht nur um altes Blut, sondern um altes, verseuchtes Blut. Aber warum war es in Flaschen gefüllt und wie ein Schatz in einer Truhe transportiert worden?
»Entschuldige bitte«, sagte Charlotte, »aber es war ein langer Tag. Was willst du damit sagen, Darryl? Dass irgendein Schiff vor Gott weiß wie langer Zeit eine Ladung voll schlechten Blutes, sorgfältig in Kisten verpackt, zum Südpol gebracht hat?«
»Es ist unwahrscheinlich, dass das Schiff tatsächlich in die Antarktis wollte«, sagte Darryl. »Wahrscheinlich ist es bloß vom Kurs abgekommen, und wer weiß schon, wie lange das Eis die Überbleibsel südwärts geschoben hat. Ihr wisst doch, dass Eis sich bewegt, nicht wahr?«
»Aber warum?«, fragte Michael. »Was für einen Zweck hätte so eine Fracht, egal wo?«
Darryl kratzte sich am Kopf, bis ein Büschel roter Haare seitlich abstand. »Da bin ich überfragt. Schlechtes Blut nützt niemandem, es sei denn, man benutzt es für eine Art Impf-Experiment.«
»An Bord eines Schiffes?«, fragte Michael.
»Vor Hunderten von Jahren?«, fiel Charlotte ihm ins Wort.
Kapitulierend hob Darryl die Hände. »Seht mich nicht so an, Leute! Ich habe auch keine Antworten. Aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass die Flasche, die Truhe und die Leiche – oder die
Leichen, wie sich vielleicht noch herausstellen wird – nichts miteinander zu tun haben.«
»Da gebe ich dir recht«, sagte Michael. »Oder wir haben es mit dem größten Zufall in der Geschichte der Seefahrt zu tun.«
Charlotte schien in diesem Punkt ebenfalls mit ihnen übereinzustimmen.
»Sobald ihr Zustand es erlaubt«, sagte Darryl, »sollten wir versuchen, eine brauchbare Blutprobe von Dornröschen zu bekommen.«
»Um was zu beweisen?«, wollte Michael wissen.
Darryl zuckte die Achseln. »Eine Übereinstimmung?«
»Womit?«, fragte Michael leicht verzweifelt. Er hatte das Gefühl, nicht ganz folgen zu können. »Mit dem kranken Blut aus der Flasche? Willst du behaupten, sie hätte ihr eigenes Blut in Flaschen abgefüllt? Vielleicht als Andenken?«
»Oder ist es etwas anderes?«, warf Charlotte ein. »Glaubst du, dass sie sich diesen Vorrat aus irgendwelchen obskuren medizinischen Gründen angelegt hat?«
»Als Wissenschaftler«, sagte Darryl, sah von einem zum anderen und versuchte, die Wogen zu glätten, »weißt du manchmal genau, wonach du suchst, und du weißt auch, wo du es finden kannst. Ein anderes Mal weißt du es nicht, aber du machst einfach weiter, gehst den Dingen auf den Grund und verfolgst jede Spur.«
»Das hier klingt für mich aber nach einer verdammt merkwürdigen Spur«, sagte Michael und merkte, dass er der ganzen Sache seltsam ablehnend gegenüberstand.
»Da kann ich dir nicht widersprechen«, gab Darryl zu.
Charlotte atmete kräftig aus und griff nach ihrem Mantel und den Handschuhen. »Ich gehe ins Bett«, erklärte sie, »und ich rate euch beiden, dasselbe zu tun.«
Doch Michael war plötzlich zu müde zum Aufstehen. Er blieb, wo er war und musterte die geheimnisvolle schwarze Flasche.
»Michael«, sagte Charlotte und schloss ihren Parka, »geh ins Bett und schlaf. Befehl vom Doktor.« An Darryl gewandt fügte sie hinzu: »Und du solltest auch besser abschalten.«
Fragend blickte Darryl auf das Mikroskop.
»Du weißt, was ich meine.«
20 . Kapitel Anfang September, 1854
Die Pferde. Es war die furchtbare Tortur, die den Pferden zugemutet wurde, die Lieutenant Copley beinahe um den Verstand brachte.
Sein wunderschöner Ajax war zusammen mit
Weitere Kostenlose Bücher