Eisiges Feuer (German Edition)
Vorräte sichten wollen! Mitten in der Bewegung vergaß er allerdings, was er gerade vorgehabt hatte, betrachtete einen Moment lang verwirrt seine Hand, schloss die brennenden Augen – und schlief ein.
Kirian legte ihn vorsichtig nieder, küsste ihm sanft die Lippen. Lys stöhnte leise, zu erschöpft, um erwachen zu können.
„Einverstanden. Ich esse allein. Aber nachher bist du auch dran!“
Lys wurde davon geweckt, dass Kirian ihn auszog. Ein Feuer prasselte in der Nähe und verströmte angenehme Wärme, im Gegensatz zu seinen Wunden, die brannten und juckten. Er schrie auf, konnte es nicht verhindern, als kaltes Wasser über seinen Rücken rann.
„Ruhig, ganz ruhig, es ist gut“, hörte er Kirians Stimme, spürte seine Hände auf Kopf und Arm. „Ich würde es dir so gerne ersparen, aber alles ist entzündet und verkrustet. Wenn ich es nicht reinige, wird es noch eitern, und dann weiß ich nicht, ob ich dich hier draußen durchbringen kann.“
„Es tut so weh“, wimmerte er, zu elend, um sich noch für seine Schwäche schämen zu können.
„Ich habe nichts hier, um den Schmerz zu lindern. Nur Wasser und ein bisschen Heilsalbe.“ Er hörte Kirians Mitgefühl, klammerte sich Halt suchend an die Hand, die sich um seine schloss. „Nicht mal Schnaps hab ich dabei.“ Wieder fuhr das nasse Tuch über seine zerrissene Haut.
„Was bist du nur für ein Sheruk? Ziehst ohne Schnaps durchs Land?“, keuchte Lys, bäumte sich auf vor Qual.
„Hast du jemals den Rotwein meines Vaters versucht?“
„Ja …“
„Er ist süß und schwer und berauscht trotzdem nicht die Sinne, nicht wahr? Würdest du billigen Fusel trinken können, nachdem du solch eine Wonne genießen durftest?“ Kirian hielt ihn kraftvoll nieder und arbeitete weiter, während er ununterbrochen auf ihn einsprach. Irgendwelchen Unsinn, einfach um ihn beschäftigt zu halten. Keinem anderen hätte Lys freiwillig erlaubt, ihn so zu foltern. Doch Kirian vertraute er bedingungslos, ihm zuliebe ertrug er den Schmerz, solange er konnte.
Es gab kaum noch heile Haut an diesem Mann. Dass die meisten Wunden oberflächliche Abschürfungen waren, verschlimmerte es eher, da diese stärker schmerzen konnten als tiefe Verletzungen. Am schwersten betroffen waren wieder einmal Hände und Handgelenke, außerdem die linke Hüfte, wo er augenscheinlich längere Zeit lang über den Boden geschleift worden war. Kirian versuchte, den blutstarrenden alten Verband zu lösen, aber der klebte an der großflächigen Wunde fest. Lys wimmerte immer lauter, bis er jegliche Willenskraft verlor, sich noch zu beherrschen und anhaltend zu schreien begann. Erschrocken hielt Kirian ihm den Kopf, versuchte zu ihm durchzudringen. Doch Lys war so vollkommen außer sich, dass er immer weiter schrie, während er kraftlos zu entkommen versuchte, bis seine Stimme brach. Kirian presste ihn an sich, um die gellenden Schreie zu dämpfen. Zwar waren sie rund achthundert Schritt von der Straße entfernt, bei der Lautstärke aber konnte es geschehen, dass jemand sie hörte. Lys kämpfte gegen ihn, zu panisch, zu weit getrieben, um noch zu wissen, was mit ihm geschah. Als er schließlich vor Erschöpfung aufgab, drehte Kirian ihn zu sich um. Tränen rannen wie Sturzbäche über Lys’ Wangen. Noch war er bei Bewusstsein – allerdings nicht mehr wirklich bei Verstand. In wirrer Panik irrten seine Augen umher, seine Lippen formten lautlose Worte.
„Lys, ganz ruhig, es ist gut, hörst du mich? Ich höre auf. Wir machen später weiter, wenn du ausgeruht bist, ja? Aber ich muss die Wunden reinigen!“ Kirian verfluchte Bartolos dafür, dass der Lys’ Bündel irgendwo hingeworfen hatte, wo er es nicht hatte finden konnte. Darin hatten sich Heilkräuter befunden, Mittel gegen Schmerzen und Fieber. Geblieben war ihnen nur die Heilsalbe, die der Kerkerwächter eingepackt hatte – eine erstaunlich umsichtige Geste, alles in allem. Lys wurde von einer neuen Schmerzwelle erfasst, und wieder gellten seine Schreie durch den Wald. Mit Tränen in den Augen griff Kirian zum allerletzten Mittel – er legte Lys einen Knebel an, ein weiches Stück Stoff, das er ihm um den Kopf band und so sein Gebrüll zumindest ein wenig dämpfte.
„Es tut mir so leid“, beteuerte er, doch Lys hörte ihn nicht mehr. Wie ein Wahnsinniger tobte er, versuchte sich von dem Knebel zu befreien, der schlimmste Erinnerungen wach rief, wehrte sich verzweifelt gegen die Hände, die ihn niederhielten, damit er sich nicht selbst
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