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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Absichten errät.«
    »Ich weiß. Sie hat nicht angefangen, Dinge zu verschenken, die ihr am Herzen lagen, oder irgendetwas dergleichen.«
    »Nein. Keinerlei klassische Anzeichen. Und in ihrer Krankenakte steht auch nichts von einem früheren Versuch, obwohl sie viel über Suizid nachgedacht hat. Aber wir wissen, dass sie über Jahrzehnte gegen ihre manische Depression angekämpft hat. Die Statistiken sind eindeutig: Bei manisch-depressiven Menschen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich das Leben nehmen, am höchsten, und zwar ohne Ausnahme. Bei keiner anderen Gruppe ist die Wahrscheinlichkeit höher. Gott, ich rede, als wüsste ich, wovon ich rede, aber ich weiß es nicht.« Dr. Bell hob hilflos die Arme. »Wenn so etwas passiert, kommt man sich ziemlich inkompetent vor.«
    »Ich bin sicher, dass es nicht Ihre Schuld ist«, sagte Cardinal. Er wusste eigentlich gar nicht mehr, was er überhaupt bei dem Arzt wollte. War er hergekommen, um sich anzuhören, wie dieser bärtige Engländer sich über Statistiken und Wahrscheinlichkeiten ausließ? Ganz ohne jeden Zweifel bin
ich
derjenige, der jeden Tag mit ihr zusammen war, dachte er.
Ich
bin derjenige, der sie am längsten kannte.
Ich
bin derjenige, der nicht aufgepasst hat. Zu dumm, zu egoistisch, zu blind.
    »Es ist verführerisch, nicht wahr? Man ist in Versuchung, sich selbst die Schuld zu geben«, sagte Bell, als hätte er einmal mehr Cardinals Gedanken gelesen.
    »In meinem Fall ist es eine traurige Tatsache«, erwiderte Cardinal, dem die Verbitterung in seiner eigenen Stimme nicht entging.
    »Aber mir geht es genauso«, sagte Bell. »Das sind die Kollateralschäden des Suizids. Jeder, der einem Menschen nahestand, der sich das Leben genommen hat, wirft sich vor, nicht genug getan zu haben, nicht einfühlsam genug gewesen zu sein, nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben, um es zu verhindern. Aber das heißt noch lange nicht, dass diese Gefühle eine korrekte Einschätzung der Realität darstellen.«
    Dr. Bell sagte noch andere Dinge, die Cardinal nicht mitbekam. Später fragte er sich, ob er die ganze Zeit geweint hatte. Sein Kopf war wie ein ausgebranntes Haus. Eine leere Hülle. Woher sollte er wissen, was um ihn herum geschah?
    Als Cardinal sich verabschiedete, sagte Bell: »Catherine hatte großes Glück, mit Ihnen verheiratet zu sein. Und sie wusste das.«
    Die Worte des Arztes hätten beinahe dazu geführt, dass er erneut in Tränen ausbrach. Mit letzter Kraft gelang es ihm, sich zusammenzureißen, wie ein Patient, der eben noch auf dem OP-Tisch gelegen hat und verzweifelt seine beiden zusammengenähten Hälften festhält. Irgendwie schaffte er es durchs Wartezimmer und hinaus in die goldene Oktobersonne.

5
     
    D as Bestattungsunternehmen Desmond’s liegt zentral an der Ecke Sumner Street und Earl Street, was bedeutet, dass so ziemlich jeder, der aus der Stadt hinaus- oder in die Stadt hineinfährt, daran vorbeikommt – ein tägliches Memento mori für die Bürger von Algonquin Bay. Es ist kein schönes Gebäude, ein rautenförmiger Betonklotz, cremeweiß gestrichen, um die Strenge der Form zu mildern und die Düsternis seiner Bedeutung zu lindern. Jedes Mal, wenn Cardinals Vater daran vorbeigefahren war, hatte er gewinkt und ausgerufen: »Noch hast du mich nicht, Desmond! Noch hast du mich nicht!«
    Natürlich hatte Mr. Desmond Stan Cardinal am Ende doch gekriegt, genauso wie Cardinals Mutter vor ihm und wie er jeden Einwohner von Algonquin Bay kriegen würde. Zumindest die Katholiken. Es gab noch ein Bestattungsunternehmen am anderen Ende der Stadt, das die Protestanten kriegte, und ein weiteres, neueres, das für verstorbene Juden, Muslime und »andere« zuständig war.
    Mr. Desmond war in Wirklichkeit kein einzelner Mann, sondern ein vielköpfiges Unternehmen, dessen traurige, aber notwendige Aufgaben effizient von Mr. Desmonds zahlreichen Söhnen, Töchtern, Schwiegersöhnen und Schwiegertöchtern ausgeführt wurden.
    Als Cardinal zusammen mit Kelly das Gebäude des Bestattungsunternehmens betrat, legte sich ihm ein tonnenschweres Gewicht auf die Brust. Seine Knie begannen zu zittern. David Desmond, ein adretter junger Mann, dem die Präzision ins Gesicht geschrieben stand, schüttelte ihnen die Hand. Er trug einen perfekt sitzenden grauen Anzug mit einem frisch gestärktenEinstecktuch in der Brusttasche und blank gewichste schwarze Budapester Schuhe, die besser zu einem wesentlich älteren Mann gepasst hätten. Es war, als versuchte er

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