Eisiges Herz
Delorme. »Die hält Sie bestimmt auf Trab.«
»Sadie ist ja noch klein, Gott sei Dank. Aber ihre Schwester macht uns neuerdings immer mehr Sorgen. Sie sollte jetzt eigentlich auch zu Hause sein. Haben Sie Kinder? Wahrscheinlich nicht, nach Ihrer perfekten Figur zu urteilen.«
»Ich bin nicht verheiratet«, antwortete Delorme und trat an die Wand, um die Fotos genauer zu betrachten. Gleichzeitig versuchte sie, unauffällig einen Blick ins Nebenzimmer zu werfen, aber die Tür war halb geschlossen, und es war zu dunkel.
»Schöne Bilder«, sagte sie. Es gab Fotos von Booten, Fotos von Leuten, Fotos von Bäumen, Häusern, Zügen und Gebäuden. Sie waren von wesentlich besserer Qualität als die Pornofotos, die sie aus Toronto bekommen hatte. Nicht dass das viel zu bedeuten hatte. Selbst ein Profi würde womöglich seine Ansprüche nicht so hoch hängen, wenn die Geilheit ihn überkam.
Mrs. Ferrier stand auf und gesellte sich zu Delorme. Sie duftete nach Zitronenseife.
»Das ist Sadie«, sagte sie und zeigte auf ein Foto von einem vierjährigen Kind, das auf dem Rücken eines Bernhardiners saß. »Mein Mann hat es vor ein paar Jahren aufgenommen, als wir uns Ludwig gerade zugelegt hatten. Gott, hat sie den armen Hund gequält. Sie ist auf ihm geritten, als wäre er ein Pony. Kein Wunder, dass er nur noch schläft, stimmt’s, Ludwig?«
»Sie sagten, Sie hätten noch eine Tochter?«
»Alex. Alex kann es nicht ausstehen, fotografiert zu werden. Sie hat sogar die Kinderfotos von der Wand genommen, die hier hingen. Dreizehnjährige sind so … extrem in allem.«
»Und Alex ist im Augenblick nicht hier?«
»Nein, sie verbringt das Wochenende bei ihrer Kusine in Toronto.«
Sie hörten, wie die Haustür geöffnet wurde.
»Ach, da kommt André«, sagte Mrs. Ferrier. »Er kann Ihnen mehr über den Hafen erzählen.«
Aus der Diele kam ein lauter Seufzer, dann das Geräusch von Schuhen, die ausgezogen und abgestellt wurden.
»Gott, ich bin fix und fertig«, kam es aus der Diele.
»Wir sind hier drinnen«, rief Mrs. Ferrier.
»Wir?« Mr. Ferrier betrat das Wohnzimmer und streckte Delorme eine Hand entgegen. »André Ferrier«, sagte er, ehe seine Frau dazu kam, ihn vorzustellen.
»Lise Delorme.«
»Ms. Delorme ist Kriminalpolizistin«, erklärte ihm Mrs. Ferrier. »Sie ermittelt in einem Fall von Körperverletzung, der sich im Jachthafen ereignet hat.«
»Im Hafen? Gott, wer wurde denn angegriffen? Aber das dürfen Sie mir wahrscheinlich nicht sagen.«
»Nein, das kann ich nicht. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Mr. Ferrier?«
»Selbstverständlich. Solange es Ihnen nichts ausmacht, wenn ich die Beine hochlege. Ich hab gerade neun Runden Golf gespielt, mir qualmen die Füße.«
»Ist es im Moment nicht ein bisschen zu kalt für Golf?«
»Sagen Sie das meinem Chef. Er ist ein Fanatiker. Honey, haben wir noch eine Cola light oder so was für die junge Frau?«
»Lassen Sie nur«, sagte Delorme. »Ich brauche nichts.«
André Ferrier machte es sich in dem Kissenberg auf dem Sofa bequem. Er war mittelgroß und breitschultrig, aber besser in Form, als man es von einem Autoverkäufer erwarten würde. Sein mittelbraunes Haar reichte ihm gerade über die Ohren und den Kragen.
Möglich, dachte Delorme. Er könnte der Mann von den Fotos sein, nur dass seine Haare kürzer sind. Sie hätte sich gern sein Boot angesehen, am liebsten auf der Stelle, wollte ihn jedoch nicht aufschrecken. Einmal mehr ging sie ihren Fragenkatalog durch. Inzwischen war sie geübt darin, ihre Fragen so zu formulieren, dass man meinen konnte, sie ermittelte in einem Fall von Körperverletzung, der sich bei einer aus dem Ruder gelaufenen Party unter Teenagern ereignet haben könnte.
Mr. Ferrier trank entspannt seine Cola, während er Delormes Fragen beantwortete. Er wirkte nicht im mindesten beunruhigt.
»Sind Sie viel auf den Beinen?«, fragte er irgendwann. »Ich meine, müssen Sie viel stehen in Ihrem Job?«
»Jetzt nicht mehr«, erwiderte Delorme. »Das ist das Beste daran, nicht mehr Streife gehen zu müssen.«
»Ich stehe fast den ganzen Tag lang im Ausstellungsraum und rede mit Kunden. Sie glauben gar nicht, wie anstrengend das ist. Deswegen geht mein Chef wahrscheinlich dauernd mit uns zum Golfspielen. Der geborene Sadist.«
»Aber wie ich sehe, haben Sie auch ein interessantes Hobby«, sagte Delorme.
»Wie? Oh, meine Fotos. Ja, ich liebe es zu fotografieren. Das ist für mich die schönste Freizeitbeschäftigung –
Weitere Kostenlose Bücher