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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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bestrebt, das Blickfeld möglichst schnell einzuengen – und er lag fast immer richtig mit seinen Schlussfolgerungen. Erst dann begann er, wie Delorme, die wichtigen Details zusammenzutragen. »Als Team«, hatte Chouinard ihnen einmal gesagt, »würden Sie beide glatt einen Top-Ermittler abgeben.«
    Die beiden Kollegen von der Spurensicherung lebten in ihrer eigenen Welt. Szelagy, eine Quasselstrippe vor dem Herrn, war wie ein Radio, das sich nicht mehr abstellen ließ, und McLeod sah es offenbar als seine Aufgabe, der Welt ständig seine Meinung kundzutun – die meistens unerträglich war. Ständig machte er irgendwelche sexistischen, rassistischen oder sonstwie reaktionären Bemerkungen, von denen Delorme nur hoffen konnte, dass er sie nicht ernst meinte. Bisher war ihr nie bewusst gewesen, wie sehr Cardinal derartige Auswüchse durch seine Anwesenheit in Schach hielt.
    Während sie die Island Road hinunterfuhr, fragte sie sich, wie es Cardinal wohl gehen mochte. Delorme, die noch nie verheiratet gewesen war, hatte folglich noch nie einen Mann verloren, aber sie erinnerte sich, wie sehr sie nach dem Todihrer Mutter getrauert hatte. Das war jetzt zwölf Jahre her. Damals hatte Delorme noch an der Carleton University in Ottawa studiert. Aber sie wusste noch gut, wie sie unter der Trauer gelitten hatte, Tag für Tag, über Wochen und Monate. Sie hoffte, dass Cardinal bald etwas Ruhe finden würde.
    In einem Tagtraum sah sie sich und Cardinal in einem teuren Restaurant sitzen, wo sie zu Abend aßen. Aus unerfindlichen Gründen in Montreal. Dann schlenderten sie über den Mount Royal und blickten auf die Stadt hinunter. Sie umarmte ihn, einfach, um ihn ein bisschen zu trösten, und als er auch die Arme um sie legte, weckte das ein Gefühl in ihr, das auf mehr als Freundschaft schließen ließ.
    »Herrgott, Delorme«, sagte sie laut und machte eine Vollbremsung, weil sie die Abfahrt zur Royal Road verpasst hatte. Sie setzte zurück, was einen Jeepfahrer hinter ihr zu wütendem Hupen veranlasste, und bog in die unbefestigte Straße ein.
    FOUR MILE MARINA: VERKAUF, WARTUNG, WINTERLAGERUNG . Das Schild war eher als erwartet aufgetaucht, neben einer Einfahrt, die breit genug war für große Fahrzeuge mit Bootsanhänger.
    Ein junger Mann in Cargo-Hosen und modisch aufwendigen Sportschuhen führte Delorme zum Bootsschuppen. Das Gebäude sah aus wie ein riesiger Schuhschrank mit metallenen Rolltoren. Es hatte zwei Ebenen, und Delorme war erleichtert zu erfahren, dass Ferriers Boot auf der unteren abgestellt war.
    »Ich muss zurück ins Büro«, sagte der junge Mann. »Rufen Sie mich, wenn Sie irgendwas brauchen.«
    »Mach ich. Danke.«
    Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ein leichter Regen hatte eingesetzt, der auf die Wellblechdächer trommelte und den Duft nach Kiefern und feuchtem Laub verstärkte.Delorme öffnete das Vorhängeschloss, schob das Tor hoch und drückte auf den Lichtschalter.
    Das Boot lag auf dem Anhänger, wodurch es unglaublich groß wirkte. Allein der Rumpf war fast zwei Meter hoch, ganz aus strahlend weißem Fiberglas. Auf dem Dach der Kajüte prangten Antennen, Scheinwerfer und eine Satellitenschüssel.
    Delorme kletterte erst auf den Anhänger und dann auf die kleine Metallleiter am Heck, bis sie über die Reling sehen konnte. Bis auf den hölzernen Handlauf am Dollbord (wenn das der richtige Ausdruck war) war das gesamte Boot mit durchsichtiger Plastikplane eingehüllt, die mit gelber, durch offenbar dafür vorgesehene Ösen gezogener Schnur befestigt war.
    Delorme brauchte fast eine Viertelstunde, um so viele Knoten zu lösen, dass sie die Plane weit genug zurückschlagen und ins Boot klettern konnte.
    Sie sah sich um und betrachtete den hölzernen Boden, die auf Hochglanz polierten hölzernen Verkleidungen. Sie stieg in die Kajüte und untersuchte das hölzerne Steuerrad und die Armaturen aus Messing. Im Heckbereich gab es rot gepolsterte Sitze, die mit dem Rücken zueinander angebracht waren. Es war das Boot von dem Foto.
    Delorme ging nach unten aufs Deck und setzte sich auf die unterste Stufe der Treppe. Hier hatte er also gesessen und das Bild aufgenommen. Das Mädchen, zu dem Zeitpunkt nicht älter als zehn oder elf, hatte auf dem hinteren, nach vorn gerichteten Sitz gehockt. Frank Rowleys Cessna war rechts im Hintergrund zu sehen gewesen. Mit Daumen und Zeigefingern formte Delorme wie ein Filmregisseur einen Bilderrahmen vor ihren Augen. Ja, man konnte sich das Flugzeug gut in der Ecke

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