Eisiges Herz
irgendwohin zu fahren, wo ich noch nie gewesen bin, ein paar Kameras über der Schulter, und den ganzen Nachmittag lang fotografieren.«
»Du machst es eigentlich kaum noch«, bemerkte seine Frau. »Du solltest öfter mal rausfahren.«
»Es ist schwierig mit den Kindern«, entgegnete Ferrier. »Die langweilen sich, wenn ich eine Aufnahme vorbereite, die richtige Linse aussuche und all das. Erst recht, wenn ich mehrere Fotos von ein und demselben Motiv mache. Aber sogeht das nun mal. Wenn man etwas entdeckt, was man fotografieren möchte, dann macht man so viele Aufnahmen davon wie möglich. Da spart man nicht am Film.«
»Mehrere Kameras, sagten Sie? Haben Sie auch eine Digitalkamera oder eine Filmkamera?«
»Mit der digitalen Fotografie fange ich gerade erst an. Aber meiner Meinung nach ist die Technik noch nicht ausgereift. Um die Bildqualität zu erhalten, die mich interessiert, müsste ich mir für Tausende von Dollars eine Kamera kaufen, die in ein paar Jahren schon wieder veraltet wäre. Ich besitze zwar eine einfache, kleine Digitalkamera, aber das ist nicht der Grund, warum ich immer zwei Kameras mitnehme. Man macht das, damit man nicht andauernd die Linse wechseln muss. An der einen habe ich ein Weitwinkelobjektiv, an der anderen ein Teleobjektiv. Ein kleiner Trick, den ich von einer großartigen Lehrerin gelernt hab, die ich mal hatte.«
»Ach? Und wer war das?«
»Catherine Cardinal. Da fällt mir ein, ihr Mann war Polizist. Haben Sie sie gekannt?«
»Ja«, sagte Delorme. »Ich habe sie sehr bewundert.«
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie tot ist. Wissen Sie, ob es Selbstmord war?«
»Ihr Tod kam sehr unerwartet«, erwiderte Delorme. »Warum hat sie Ihnen nicht einfach geraten, eine Zoomlinse zu benutzen?«
Ferrier verzog das Gesicht. »Zu schwer, zu unhandlich. Zu viel Glas.«
»Entwickeln Sie Ihre Bilder selbst?«
»Aber ja. Nur so gewinnt man Kontrolle über seine Arbeit.«
»Mr. Ferrier, es wäre eine große Hilfe für unsere Ermittlungen, wenn Sie mir einen Blick auf Ihr Boot gestatten würden.«
»Moment mal. Sie nehmen doch nicht etwa an, dass jemand auf meinem Boot zusammengeschlagen wurde? Tut mir leid, aber das ist verrückt, Detective. Außer uns kommt niemand auf das Boot.«
»Auch nicht, wenn Sie nicht da sind?«
»Nein. Im Jachthafen haben alle ein Auge auf die Boote der anderen. Wenn ich Matt Morton oder Frank Rowley sage, dass ich eine Weile weg bin, dann sorgen die dafür, dass niemand sich an meinem Boot zu schaffen macht.«
»Aber die sind ja auch nicht immer da. Sie wohnen ja schließlich nicht auf ihren Booten.«
»Stimmt. Aber es gibt eine Menge Sicherheitsvorkehrungen da draußen. Das muss sein. Seit vor ein paar Jahren in einige Boote eingebrochen worden ist, gibt es Überwachungskameras.«
»Natürlich ist es Ihr gutes Recht, auf einem Durchsuchungsbeschluss zu bestehen«, sagte Delorme und stand auf. »Mrs. Ferrier, vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Ich glaube nicht, dass André sagen wollte, Sie dürften sich das Boot nicht ansehen, oder, Liebling?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich halte es einfach für Zeitverschwendung, das ist alles.«
»Für uns ist es schon eine Hilfe, wenn wir es als Tatort ausschließen können«, sagte Delorme. »Das Problem ist, dass die meisten Boote bereits auf dem Trockendock sind. Wo bringen Sie Ihr Boot im Winter unter?«
»Am Four-Mile-Hafen. Auf der anderen Seite des Sees. Die haben wesentlich mehr Platz, und es ist billiger dort.«
»Ist das in der Nähe der Island Road?«
»Fahren Sie über die Island und biegen Sie an der Royal rechts ab. Nach ungefähr einem halben Kilometer sehen Sie das Schild. Sie können es nicht verfehlen. Ich werde denen Bescheid sagen, dass Sie kommen.«
Von der Stadt aus waren es etwa sechs Kilometer über den Highway 63 in Richtung Norden bis zur Island Road. Auf dem Weg dorthin kam Delorme an der Madonna Road vorbei, die am Westufer des Sees entlangführte und nach einigen hundert Metern wieder parallel zum Highway verlief. Cardinals Haus lag wie ein dunkler Würfel unter Wolken aus leuchtend bunten Blättern. Delorme fragte sich, ob seine Tochter ihm wohl noch Gesellschaft leistete oder ob sie schon wieder nach New York zurückgekehrt war.
Ohne Cardinal war die Arbeit nicht dieselbe. Delorme lag vor allem die Beinarbeit, sie kümmerte sich darum, Zeugen zu befragen und alle Fakten zusammenzutragen, und schrieb ihre Berichte pünktlich und akribisch. Cardinal dagegen war eher
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